Warum das Land Lektionen erteilen kann
02.11.2008 - Stefanie Claudia Müller - scm-communication
Viele Wirtschaftsexperten sagen Spanien seit Jahren die schlimmste Wirtschaftskrise der Geschichte voraus. Auch ich habe selber geglaubt, dass dieses Land in eine große Misere rutschen wird. Das Blatt hat sich jedoch gewendet: Spaniens wenig diversifizierte und global ausgerichtete Ökonomie wird dank der internationalen Finanzkrise weniger dramatisch abstürzen als man das bisher annahm. Denn die Tatsache, dass die europäischen Leitzinsen gesenkt wurden und wahrscheinlich weiter nach unten gehen werden, ist eine sehr gute Nachricht für Spaniens hoch verschuldete Haushalte, deren Kredite fast alle variabel verzinst werden. Die Tatsache, dass die heimische Exportwirtschaft und die Banken bisher weniger global verstrickt waren, kommt Spanien ebenfalls zugute. Das heißt die Fehler der Vergangenheit, die Schwächen der Wirtschaft, erweisen sich jetzt als Vorteile.
Das spanische Finanzsystem bleibt nicht nur stabil in Krisenzeiten, es gehört zu den rentabelsten und effizientesten der Welt. Die Verwicklung mit der US-Investmentbank Lehman Brothers und anderen Pleite-Finanzdienstleistern waren nicht so groß wie zum Beispiel in Belgien oder Island. Die Abhängigkeit von der Refinanzierung durch internationale Finanzmärkte ist geringer, die Einlagen der Spanier in den nationalen Banken vergleichsweise hoch. Zudem ist Lateinamerika, wo die zwei großen Banken, Santander und BBVA, in vielen Märkten marktführend sind, noch nicht so stark von der Finanzkrise betroffen.
Ein Grund, warum Santander und BBVA in der vergangenen Woche Gewinnsteigerungen in den ersten neun Monaten diesen Jahres meldeten. Während in Großbritannien, Island, Belgien, Holland und Deutschland Wettbewerber pleite gingen, nutzen die Spanier die Gunst der Stunde und kaufen billig ein. Die Banco Santander, angestachelt von dem immer nach Rendite strebenden Chairman und Anteilseigner Emilio Botín, erwarb einen Großteil des Geschäfts der britischen Bradford & Bingley und integrierte dies in die Tochter Abbey National. Vor wenigen Tagen übernahm Santander zudem die US-Bank Sovereign, an der sie schon 25 Prozent hielt.
Zu verdanken hat Spaniens Finanzsektor das Glück im Unglück vor allem der spanischen Bankenaufsicht. Deren ehemaliger Chef Jaime Caruana hat die "Basel II" genannten Vorschriften für die Risikokontrolle bei Banken mit vorangetrieben, sein Nachfolger hat viele große Banken und Sparkassen dazu gebracht, sie schon im vergangenen Jahr umzusetzen. In Deutschland geschah das erst pflichtgerecht Anfang 2008. Dementsprechend tauchen immer neue, unerwartete Löcher bei dortigen Banken, Landesbanken und Sparkassen auf.
Obwohl aus dem linken Lager, bewältigt die spanische Regierung zudem die Krise mit weniger staatlichem Interventionismus als viele andere europäische Rechts-Regierungen und damit effizienter. Premier Zapatero lud schon früh sechs spanische Banken- und Sparkassenvertreter zu sich, ließ sich genau über ihre Lage aufklären und entschloss sich, über eine staatliche Fondsgesellschaft gut bewertete Anleihen der Banken zu kaufen, um ihnen Liquidität zu geben. 30 Milliarden Euro stellt er dafür bereit. Weitere 20 Milliarden Euro sind möglich, sollte es doch noch schlimm werden für Spanien. Bei den Sparkassen stimuliert seine Wirtschaftsmannschaft Zusammenschlüsse. Die erste Fusion zwischen den baskischen Instituten BBK und Kutxa findet bereits statt.
Schon bei den ersten Pleiten im kriselnden heimischen Immobilienmarkt zeigten Zapatero und seine Wirtschaftsmannschaft Resistenz gegen Forderungen nach staatlicher Hilfe, um die vielen Hausbesitzer in Spanien zu schützen und die Unternehmen, die jahrelang unverantwortlich die Preise in die Höhe getrieben haben, auch noch zu belohnen. So ließ Zapatero, ohne mit der Wimper zu zucken, das größte spanische Bauträgerunternehmen Martinsa pleitegehen. Er autorisierte lediglich das ICO, mit der deutschen Kreditanstalt für Wiederaufbau zu vergleichen, mehr Kapital zu günstigen Konditionen auszugeben. Nach dem EU-Rettungsplan entschloss sich der Regierungschef, eine Bürgschaft im Gegenwert von 100 Milliarden Euro für Kredite der Banken untereinander zu übernehmen - ein klügerer Zug als sich, wie Deutschland es vorhat, an Banken zu beteiligen.
Aber leider will scheinbar niemand einen Rat annehmen von den Südeuropäern, auch Deutschland nicht. Die Spanier werden nicht zum G-20-Gipfel nach Washington eingeladen und bleiben auch von vielen Treffen in Europa ausgeschlossen, weil sich scheinbar noch nicht rumgesprochen hat, dass die Banco Santander die fünftgrößte Bank der Welt ist, die BBVA die zehntgrößte. Ebenfalls nicht bekannt scheint, dass die spanische Bankenaufsicht schon seit Jahren mit Vorsicht das wachsende Kreditvolumen der spanischen Finanzdienstleister kontrolliert. Nie wieder sollte Spanien in eine Kreditkrise stürzen wie in den 80er Jahren. Sie hat sich Monat für Monat im Detail über die Transaktionen im großen Stil informieren lassen und den Kauf von Subprime-Kreditderivaten von Anfang an verboten.
Die deutsche Bankenaufsicht hat dagegen kläglich versagt und die Regierung reagiert nur noch statt vorzusorgen. Rettungspläne und Konjunkturprogramme werden auferlegt, um Vertrauen zu schaffen, mit Geld, das nicht vorhanden ist. Und trotzdem: Die Deutsche Börse tendiert weiter nach unten. Schlechte Nachrichten reißen nicht ab. Die Deutschen, die bisher als gesittet, organisiert und eher risikoavers galten, erleben die schlimmste Vertrauenskrise seit Ende des Zweiten Weltkrieges. Das beste Beispiel ist Volkswagen. Um die Aktie wird wild spekuliert und erst spät wird von der Finanzmarktaufsicht eingegriffen.
Alte Menschen nehmen währenddessen ihr Geld von den Konten, weil sie selbst bei bisher als solide geltenden Instituten wie der Postbank nicht mehr wissen, was sie noch glauben sollen, wenn anscheinend die dortigen Manager selber nicht mehr wissen, was wirklich in der Bilanz steht. Ganz zu schweigen von der Deutschen Bank, die diese fast bankrotte Kreditanstalt vor einigen Monaten gekauft hat. Und jetzt kommt raus, dass sich der Vorstand auch noch kurz vor der Bekanntgabe der Verluste mit Millionen für seine "gute" Arbeit hat belohnen lassen. Eine Schande!
Trotz alldem dürfte die Freude Spaniens nicht lange anhalten. Anders als in Deutschland, Großbritannien oder den USA, wo es ein industrielles Fundament gibt und die Krise relativ schnell verdaut sein dürfte, ist Spaniens Exportindustrie immer noch unterentwickelt. Jetzt, wo die Bauwirtschaft und der Binnenkonsum wegbrechen, wird das deutlicher denn je. Erst in einigen Jahren dürfte Spanien deshalb die daraus resultierenden Verwerfungen überwunden haben.
Ein Ass hat der Regierungschef jedoch noch im Ärmel: Spanien hat über Jahre Haushaltsüberschüsse erwirtschaftet, auch dank milliardenschwerer Überweisungen aus Brüsseler Kassen, und verfügt damit anders als Deutschland über ein finanzielles Polster, um im kommenden Jahr Konjunkturprogramme aufzulegen. Zapatero hat damit schon angefangen. Die Investitionen des Staats in die Infrastruktur sollen um mehr als sieben Prozent steigen.