HINTERGRUND: „Referendum“ zur Unabhängigkeit

14.12.2009 - Julia Macher  

Am Sonntag wurde in Katalonien „gewählt“. In über 160 Ortschaften wird den Bewohnern folgende Frage gestellt: „Sind Sie dafür, dass Katalonien innerhalb der Europäischen Union ein unabhäniger Staat wird?“ Wie bei einer Wahl kann mit Ja oder Nein abgestimmt oder als Zeichen der Enthaltung oder des Protests ein nicht ausgefüllter Zettel („voto en blanco“) in die Urne geworfen werden. Im Frühjahr sollen weitere Befragungen folgen, mit der Metropole Barcelona als Zugpferd.

Warum kann die Befragung stattfinden, wo doch im letzten Jahr das vom ehemaligen Lehendakri Ibarretxe voran getriebene Referendum über eine Unabhängigkeit des Baskenlandes verboten wurde? Der Grund liegt im unterschiedlichen juristischen Charakter und im anderen Procedere. Die Befragung am Sonntag ist kein Referendum, sondern eine bloße Meinungserhebung und hat als solche keinerlei rechtlich bindenden Charakter. Im Unterschied zum „Plan Ibarretxe“ wird sie auch nicht direkt von Parteien oder der Verwaltung organisiert, sondern geht auf lokale Privatinitiativen zurück. Die „nationale Plattform“ (http://www.referendumindependencia.cat) hat lediglich eine koordinierende Funktion. Das alles „entschärft“ die Befragung juristisch.

Einen politischen Charakter hat die Initiative dennoch. Viele Rathäuser haben sich dazu entschlossen, die Befragung zu unterstützen. Lokalpolitiker, vor allem der linksnationalistischen Esquerra Republicana und von Convergència, dem national-liberalen Flügel von CiU, nehmen an Meetings und Kundgebungen teil. Die Beteiligung und das Ergebnis werden auch außerhalb Kataloniens mit Spannung erwartet, denn sie sind ein wichtiger Indikator für die Stimmung in der wirtschaftlich starken Region. Und die ist durch die jüngsten Ereignisse angespannt: Die Nachricht, dass das Verfassungsgericht vermutlich wesentliche Teile des vor drei Jahren verabschiedeten Autonomiestatuts kippen wird, wurde mit Empörung aufgenommen und in einem gemeinsamen Editorial von zwölf katalanischen Tageszeitungen verurteilt.

Dass die „consulta soberanista“ so viel Aufmerksamkeit und ein so großes Medienecho erfahren hat, lag aber auch an ihren prominenten Unterstützern wie FC Barcelona-Präsident Joan Laporta. Der Vorsitzende des mitgliederstärksten Vereins der Welt musste sich vorwerfen lassen, seinen Einfluss für vereinsferne Ziele zu missbrauchen. Auch wenn der blaurote Klub für viele Katalanen „més que un club“ und ein Zeichen ihrer Identität sei, gebe es auch viele nichtkatalanische Anhänger, die sich dadurch düpiert fühlen könnten.

Für Ausländer sind die Beziehungen zwischen Katalonien und dem Zentralstaat oft schwer verständlich. Vieles funktioniert reflexartig: So wird jegliche Verwendung der Begriffe „Nation“ außerhalb des gesamtspanischen Kontexts von rechtspopulistischen Parteien automatisch als Angriff auf die „Einheit Spaniens“ gewertet, während viele in Katalonien ebenso empfindlich auf Kritik, beispielsweise an der Sprachpolitik, reagieren.

Das Problem begleitet den Vier-Sprachen-Staat Spanien mit seinen kulturell und wirtschaftliche höchst unterschiedlichen Regionen seit seiner Gründung. Auch die demokratische Verfassung von 1978 fand keine überzeugende Antwort darauf. Man einigte sich auf den notdürftigen Kompromiss, nach dem Spanien eine „Nation von Nationalitäten“ ist. Die aufflammende Unabhängigkeitsdebatte zeigt auch, wie unzureichend diese Formel ist.

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