Integration?

21.09.2011 - Stephanie Körner 

Wenn wir mit Besuch aus Deutschland eine Besichtigung unseres neuen Domizils hier in Sitges vornehmen und uns nachher gemütlich auf die Terrasse setzen und den Blick aufs Meer schweifen lassen…kommt meist die obligatorische Frage: „UND? Fühlt Ihr Euch wohl hier in Spanien?“
„Wie könnten wir uns hier nicht wohlfühlen?“ lautet dann meine wie aus der Pistole geschossene Gegenfrage.

Damals, vor 5½ Jahren, sind wir aus freien Stücken heraus nach Spanien pardon Katalonien gezogen. Mein Mann wollte sich hier beruflich seinen Traum erfüllen und ich bin ihm gefolgt. Ich war damals hochschwanger und es war klar, dass unser 2. Sohn hier geboren werden sollte und wir eine enge Verbindung mit diesem Land eingehen würden. Ich hatte nie geglaubt, dass ich etwa Probleme bei der Verständigung mit den Geburtshelfern haben würde, noch habe ich an deren Qualifikationen gezweifelt, wie ich es schon von anderen Müttern zu hören bekommen habe. Ich hatte einfach eine gute Einstellung. Okay, ich habe vor vielen Jahren Spanisch an der Uni studiert und hatte hier nie Sprachprobleme, mit denen sich andere Ehefrauen herumschlagen müssen, wenn sie für ein paar Jahre ihren Ehemännern nach Spanien folgen. Und tatsächlich habe ich mein Baby in Tarragona in einem öffentlichen Krankenhaus auf einem gynäkologischen Stuhl zur Welt gebracht, während im Hintergrund der Radiosender „Los 40 Principales“ den Kreissaal mit Liedern aus den 80ern beschallte. Wer hätte das gedacht? Ziemlich anders als in Deutschland.

Seit unserer Ankunft hier in Spanien haben wir bereits 4 Umzüge hinter uns, damit verbunden 3 Wechsel der Arbeitgeber meines Mannes, der immer höher auf der Karriereleiter hinaus wollte. Und nun habe ich das Gefühl am Ende einer langen Odyssee endlich dort angekommen zu sein, wo ich hingehöre. Ich fühle mich sehr wohl. Aber integriert? Bin ich integriert hier in Barcelona? Meine Kinder gehen zur Deutschen Schule, meine Satellitenschüssel sendet mir deutsche Fernsehprogramme, ich gehe Einkaufen bei Aldi oder Lidl wenn ich Quark brauche, kenne ein oder zwei Apotheken, die Elmex in ihrem Sortiment führen. Meine Zeitung lese ich im Internet natürlich auf Deutsch und wenn ich will kann ich sogar bei der Firma Brinker tiefgefrorene deutsche Bretzeln bestellen!
Wie sollte ich hier integriert sein? Ich suche auf BarcelonafürDeutsche nach deutschsprachigen Babysittern, treffe auf andere deutsche Familien auf dem Spielplatz natürlich zu „deutschen“ Uhrzeiten und sogar mein Arbeitgeber ist Deutscher!
Wie könnte ich mich hier nicht wohlfühlen? Aber ob sich Wohlfühlen und Integration einander bedingen sei dahin gestellt.

Mir ist schon klar, dass hier nicht Deutschland ist und glücklicherweise gibt es genügend Berührungspunkte mit dem Land, in dem ich tatsächlich lebe.
Ich bewundere die Vielfalt der katalanische Traditionen, die Castellers, ihre traditionellen Tänzer, Prozessionen, Feuerwerke, Drachen und krachenden Knaller, bestaune die feine Küche, diese Lebensfreude, und ach, was für ein Glück habe ich mit den Nachbarn, bei denen einer liebenswerter und hilfsbereiter als der andere ist, oder mit den Menschen, die mir beim Gang zum Supermarkt oder Kiosk, Bäckerei oder zur Bank begegnen. Die gute Stimmung, das lockere Miteinander, das Bemühen um das „buen rollito“ am Arbeitsplatz ist es, das das Leben hier so einfach macht. Klar gibt es auch negative Erfahrungen, aber ich habe mich stets geweigert, diesen ständigen Vergleich zwischen den Ländern nach dem Motto „Aber in Deutschland...“ zu führen. Man findet immer irgendetwas was schlechter oder besser ist in dem einen oder dem anderen Land.

Ich habe das große Glück, im Hier und Jetzt zu leben und mir auszusuchen, was mir am besten gefällt oder passt, sozusagen, die beiden Welten miteinander zu verwurschteln und dabei meine eigene Realität zu schaffen. Wer würde sich so nicht wohlfühlen?

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