Achtung Straßenverkehr!

02.10.2008 - Clementine Kügler, Übersetzerin 

Ein schönes Beispiel: Ich hatte mich ein wenig zu weit aus der Garage auf die Straße gewagt und ungünstigerweise kamen in diesem Moment von beiden Seiten Autos. Von rechts kam ein getunter schwarzer Angeber, hupte mehrmals kräftig und brauste mit überhöhter Geschwindigkeit seinen Weg entlang. Links hielt ein lachendes Familienmobil mit nicht spanischer Nummer und winkte mich auf die Fahrbahn. Ich möchte sehr vorsichtig sein mit Vorurteilen, kann aber den Gedanken nicht unterdrücken, dass es dabei nicht um das Verhalten von Familien oder Einzelfahrer, sondern um das Fahrverhalten von Spaniern und von „Ausländern“ ging.

Wir hatten schon Texte, die sich mit dem Fahrverhalten beschäftigten und nach 30 Jahren in spanischen Gefilden fühle mich nicht allein mit dem Urteil: Das Fahrverhalten der Spanier zeichnet sich durch Egoismus und Rücksichtslosigkeit aus. So gesellig, hilfsbereit und kommunikativ sie außerhalb des Autos sind, so aggressiv verhalten sich manche Fahrer – übrigens gern auch Mütter, die mit ihrem Vierradantrieb die Kinder von der Schule abholen – sobald sie am Steuer sitzen. Hupen gilt für mich nicht als Kommunikationsmittel.

Das erklärt, dass, sobald es regnet, zu schnell fahrende Autos im Straßengraben landen oder Fußgänger gnadenlos durch Pfützenwasser bespritzt werden. Es wird keine Rücksicht genommen, nicht an die anderen gedacht. Das wurde nie beigebracht, dem wird keine Aufmerksamkeit gewidmet. Man selbst überschätzt sich und wird dabei noch von den Nachrichtensprechern bestätigt: Schuld an der Unfallserie war der Regen – böser Regen aber auch! Einer Schweizer Freundin, die beim gestauten Einfädeln auf der Autobahn das Reißverschlußsystem anwendete, wurde vom vorgelassenen Fahrer (der Stau war nur noch Stop ohne Go) persönlich gedankt, so ein vorbildliches Verhalten sei bemerkenswert. Danke!

Wenn man bei Zebrastreifen freiwillig anhält, wird man nicht selten komisch angeguckt. Spanische Beifahrer baten mich sogar ausdrücklich, nicht so zuvorkommend zu sein, das würde nur Unfälle provozieren, denn die anderen seien das nicht gewohnt und würden nervös. Mentalitätsgeschichte. Nun kann ich also wählen, lebensmüde oder freundlich.

Das hemmungslose Telefonieren am Steuer, obwohl es beim gestikulierenden Sprechen der Spanier besonders gefährlich ist, weil dann ja keine Hand mehr am Steuer ist, kann man überall beobachten. Auch der Fahrer war abgelenkt, der in Madrid um die Ecke bog und über einen Zebrastreifen fuhr, obwohl er eine rote Ampel hatte. Er überfuhr zwei südamerikanische Kindermädchen, die im Krankenhaus landeten, den drei Kindern passierte nichts. Gefährlich ist es auch, sich auf Blinker zu verlassen. Allzu oft winkt ein Fahrer ab und fährt dann doch geradeaus. Denkt halt an was anderes oder eben an gar nichts.

Dass es keine Begrenzung beim Erwerb des Führerscheins gibt, mag dazu beitragen, dass auch gänzlich dafür ungeeignete Leute, ein Auto fahren. Mein spanischer Nachbar hat erst beim siebten Mal das Kärtchen erhalten und ich schätze meinen Nachbarn sehr, aber ins Auto setzte ich mich nur einmal mit ihm.

Und solange das so ist, bleibt nur ein extrem defensiver Fahrstil und der Rat auch an Fußgänger, erst den Zebrastreifen betreten, wenn die Autos wirklich anhalten.

Und zum Schluss noch eines dieser tollen Erlebnise, die wie so oft in Spanien – im Leben – alles widerlegen: auf der Landstraße wandert eine dicke fette Gans seelenruhig zickzack und blockiert in zwei Richtungen vier Autos. Keiner hupt, alle halten und amüsieren sich, wie ein Anwohner versucht, das Tier aufzuscheuchen. Als es ihm gelingt, hebt die gewichtige Gans ab, fast wie ein Schweinchen, wenn Schweine fliegen könnten, holt sie Schwung mit ihren enormen Flügeln und gewinnt langsam an Höhe. Wir sind alle begeistert und grinsen den Scheucher besonders liebenswürdig an. Freie Fahrt und freier Flug für alle Schweine!


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