Alterslose Gesellschaft

22.02.2010 - Stefanie Claudia Müller - scm communication  

Auf der einen Seite ist Spanien ein Land, wo mit allen kosmetischen Mitteln versucht wird, das Alter äußerlich zu vertuschen: Lifting, Fettabsaugen etc... Aber auf der anderen Seite kenne ich kaum eine Gesellschaft, wo die Generationen sich so mischen, vor allen Dingen abends, auf den Straßen, in den Bars, wo Alter dann irgendwie keine Rolle spielt. Alte Menschen machen mit am Leben, werden nicht nur sonntags ausgeführt von ihren Kindern, gehen mit Freunden zum Mus spielen, viele sind Mitglied in Sport- und Sozialclubs. Ältere Damen treffen sich im Café auf einen Schwatz und es entsteht einfach der Eindruck, dass ältere Menschen in Spanien weniger in Altenheime abgeschoben werden als bei uns und dass sie sich auch selber weniger ausschließen, weil sie einfach weiter mitmachen.

Das hat dann vielleicht auch etwas damit zu tun, dass gerade ältere Männer relativ lange arbeiten, gerade Manager bleiben lange auf ihrem Posten sitzen, bleiben schon so am Leben haften. Man denke nur an die Vorstandsvorsitzenden der beiden großen spanischen Banken, die schon weit über 60 Jahre alt sind und keine Anstalten machen, zu gehen. Das Gleiche gilt für den Ceo vom El Corte Inglés oder den Präsidenten von Inditex (Zara). Zudem arbeiten, müssen viele Rentner arbeiten, um sich was hinzuzuverdienen. Es liegt eventuell auch daran, dass mehr Mütter arbeiten und die Großeltern als Babysitter einspringen und schon so weiterhin eingebunden sind in das Leben.

Aber das Generationengemisch in Spanien hat natürlich auch mit der Bedeutung der Familie an sich zu tun. Familien gehen durchaus zusammen abends aus, man fährt auch als Erwachsene noch mit den Eltern in Urlaub und feiert Sylvester zusammen. Freunde dagegen haben eine weniger bedeutsame Stellung, die Familie steht oben auf der Prioritätenlisten. Und in einer spanischen Familie mischen sich die Generationen ganz automatisch, schon allein durch die häufige räumliche Nähe.

Viele ältere Menschen stürzen sich jedoch auch in das bunte Gewimmel am Wochenende, tauchen mit Freunden ein in ein paar Stunden Schwerelosigkeit zwischen Tapas und copas, genießen das Leben in verrauchten Bars (auch mit dem Rauchverbot hat sich das nicht sehr geändert), statt nur vor dem Fernseher zu versauern und zu motzen über die mickrige Rente.

Selbst in Madrider Diskotheken trifft man eine weite Altersspanne von 30 bis 60 Jahren an, wo man in Deutschland wahrscheinlich schon musikalisch auseinanderdriften würde, ganz zu schweigen von den Kommentaren, die junge Mädchen über die "alten Knacker" machen würden... In Spanien steht jedoch auch die Jugend auf Flamenco und spanischen Schlager, man tanzt gemeinsam.

Der grundsätzliche Respekt vor älteren Menschen, die Toleranz sie einzubinden in das eigene Leben und der Wille der „Alten“, dies auch zuzulassen, hat dieser sonst in viele Aspekten instabilen spanischen Gesellschaft sicherlich schon über einige Krisen geholfen und wird auch jetzt, in der schwersten Wirtschaftskrise seit der Einführung der Demokratie, stabilisierend wirken. Denn an Essengehen und Bars wird derzeit am wengisten gespart, das Sozialleben soll weiter Spaß machen. Das geht nur, weil junge Arbeitslose auf die Hilfe der Familie hoffen können, genauso wie kranke Eltern auf die Pflege ihrer Kinder, meistens helfen die Töchter....

Na, ja und äußerlich verwischen in Spanien natürlich ebenfalls immer mehr die Altersgrenzen wie ich schon am Anfang erwähnt aber, allerdings nicht nur dank der plastischen Chirugie, sondern auch dank der vielen Kosmetiksalons und Friseure. Haben Sie mal darüber nachgedacht, wie viele Frauen Sie hier mit grauen Haaren gesehen haben? Es scheint, auf den ersten Blick, dass Spanierinnen nie ergrauen... Mit Bewunderung sehe ich oft samstags die vielen Señoras in den Friseursalons sitzen. Scheinbar stundenlang harren sie dort aus, der Schönheit wegen. Für viele gehört der Gang unter die Haube zur Woche dazu wie der Besuch der Messe.

Man will in Spanien gesehen werden, egal, ob alt oder jung, man will raus und nicht versauern und vielleicht hat das auch was damit zu tun, dass Spanien in Europa mit die längste Lebenserwartung hat: Alte Menschen nehmen weiter am Leben teil und die Jungen schämen sich nicht, wenn ihre Eltern "ausflippen". Man lebt halt, statt jeden Tag ein bißchen zu sterben wie es viele andere alte Menschen in anderen Kulturen tun.

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