Contratos basura

30.09.2010 - Angela Stockinger - Journalistin 

“Contratos basura”: “contrato basura col. Contrato que no es indefinido y que se considera mal pagado: los contratos basura abundan entre los jóvenes.” (“Ein nicht unbefristeter Vertrag, der als schlecht bezahlt angesehen wird: Contratos basura betreffen vor allem junge Menschen.) definiert die Internetseite www.wordreference.com . Doch das arbeitsrechtlich als modern angesehene Konzept der 80er Jahre verursachte ein soziales Desaster in der jungen Generation. Sie sieht sich um ihre Zukunft betrogen und weiβ keinen Ausweg.

Die Weichen für die berüchtigten “contratos basura” oder auch “empleo basura” wurden in Spanien bereits in den späten 80er Jahren gestellt. Die immer schneller werdenden wirtschaftlichen Prozesse und der damit enstandene Druck nach mehr Flexiblität forderte die Anpassung der arbeitsrechtlichen Bedingungen. Als sich Felipe González mit seiner PSOE-Regierung nach langen Jahren des Aufschwungs der Weltwirtschaftskrise Anfang der 90er Jahre stellen musste, war einer der Rettungsversuche gegen die steigende Arbeitslosigkeit ein Plan zur Jugendbeschäftigung, der neue, temporäre Arbeitsverträge vorsah.

Diese hatten entscheidende Folgen, aber nur kurzfristig positive. Durch ein arbeitsrechtliches Abkommen zu ihren Gunsten wurde die international geforderte “Flexibilität” bei Neu-Anstellungen gegeben. Gedacht waren die temporären Arbeitsverhältnisse als Einsteigermöglichkeit für vor allem junge Menschen, aber es stellte sich schnell heraus, dass diese Verträge langfristig von den Arbeitgebern als reale Alternative zum klassischen, unbefristeten Vertrag gesehen wurden.

Doch es geht bei ihnen nicht nur um die zeitliche Begrenzung des Vertrages. Es gibt einen weiteren Vorteil: die Vergütung. Es ist erlaubt dem Arbeitnehmer 75 des Mindestlohnes zu zahlen.

“Contratos basura” sind nicht nur für die Arbeitgeber attraktiv: Sie zeichnen sich durch den fehlenden Anspruch auf Arbeitslosengeld aus, durch den fehlenden Anspruch auf Invaliditätsrente und durch die fehlende Absicherung im Falle der Arbeitsunfähigkeit. Auch dem Staat kommen diese Art Verträge demnach günstig. Gerechtfertigt und beworben wurden die Verträge mit dem Ausbildungscharakter des Arbeitsverhältnisses. Es handle sich schlieβlich um “Erstlingsverträge”, für Frischlinge also, die noch keine Arbeitserfahrung vorweisen können. Doch die Realität heute sieht anders aus. Es gibt de facto keine andere Möglichkeit für Arbeitnehmer unter 30 in eine Firma einzusteigen, auch wenn bereits Arbeitserfahrung vorliegt und der Ausbildungsfaktor somit nicht gegeben ist.

Oftmals hat die tatsächliche Arbeit gar keinen Einsteige-Charakter, der Arbeitnehmer trägt Verantwortung über Projekte und darf Entscheidungen treffen. Doch nach Auslaufen des Vertrages gibt es kein neues Angebot - der Arbeitnehmer wird schlichtweg ersetzt.

In der Online-Ausgabe des “El País” wird der ehemalige Arbeitsminister Jesús Caldera zitiert: “…El contrato temporal se hizo de buena fe, pensando en que estas personas se harían luego fijas, y se creó mucho empleo, pero en lugar de un mecanismo de entrada al mercado laboral se ha convertido en uno de salida” (Der temporäre Vertrag wurde mit guter Absicht gemacht, man dachte dass sie später in unbefristete Verträge münden werden, und es wurde viel Arbeit geschaffen, aber anstatt eines Eintrittsmechanismus hat es sich in einen Ausstiegsmechanismus umgewandelt.)

Die guten Absichten kitten leider die Wunden nicht, welche die contratos basura bei den Jugendlichen angerichtet haben. Es wuchs eine verlorene Generation heran. Junge, ausgebildete Menschen sind der Spielball des wirtschaftlichen Systems in der Krise. Die sozialen Folgen sind verherrend. Die junge Generation besteht zu hohem Anteil aus Arbeitslosen, Submileuristas (Personen, die unter 1.000 Euro im Monat verdienen), ewigen Praktikanten und Langzeitstudenten. Viele wohnen bei den Eltern, für die sie aufgrund der fehlenden finanziellen Unabhängigkeit so etwas wie die 2. Hypothek darstellen.

Sie haben nur die Möglichkeit, sich darauf einzulassen, ein Praktikum nach dem anderen zu machen und trotz steigender Verantwortung in temporären Job mit weniger als 1.000 Euro monatlich einverstanden zu sein. Diejenigen, die nicht so viel Glück haben, ein Praktikum zu finden, denen bleibt nur die Weiterbildung. Nicht umsonst werden Masterstudiengänge immer beliebter und werden auch gerne von öffentlicher Seite beworben, vor allem in Zeiten der wirtschaftlichen Krise. Bleibt nur zu erwähnen, dass Studieren in diesem Land nicht gratis ist. Der Problemkreis schlieβt sich mit einer weiteren Hürde der sich die verlorene Generation bei der Arbeitssuche stellen muss: der Überqualifikation. Da beisst sich die Katze in den Schwanz.

Der verlorenen Generation wird in einer Initiative des El País ein Sprachrohr gegeben. Unter www.elpais.com/especial/preparados wird über ihre Probleme berichtet, es können Informationen ausgetauscht werden und es wird auch versucht Hoffnung zu machen. Neben Tipps zur Jobsuche und Chats mit Experten, gibt es auch die Möglichkeit die eigene Geschichte zu erzählen. Man liest vor allem Enttäuschung, Verzweiflung und Wut, die durch konstante Zurückweisung und Frustration entstanden sind. Für viele scheint der einzige Ausweg die Emigration zu sein. Obwohl sie eigentlich gerne bleiben würden. Ihre Eltern haben ihnen immer ans Herz gelegt an der Universität zu studieren und Sprachen zu lernen – damit würde man Karriere machen. Heute sagen ihnen viele Lebewohl auf dem Weg in ein anderes Land, das ihnen mehr Hoffnung geben kann.

Die meisten würden wohl das Gleiche machen, wären sie in ihrer Situation. Das ist zumindest, was die verlorene Generation in ihrem neuen Forum sagt, in der Hoffnung, es höre ihnen jemand zu. Am Besten jemand, der ihnen das nächste Praktikum beschaffen kann, denn der aktuelle Vertrag läuft sicherlich bald wieder aus.

Links:
El País preparados: www.elpais.com/especial/preparados
Zitat Jesús Caldera: “"En tipos de contratos y subvenciones ya se ha explorado casi todo" 
http://www.elpais.com/articulo/espana/tipos/contratos/subvenciones/ha/explorado/todo/elpepiesp/20100927elpepinac_5/Tes
Word reference: www.wordreference.com

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