Das kommt mir Spanisch vor

15.11.2010 - Robin Hartmann - Journalist 

Wer als Berliner bei einer Reise nach Spanien Heimweh vermeiden möchte, braucht eigentlich nichts weiter zu tun, als zur Rush Hour in die U-Bahn einzusteigen. Der Begriff Ellenbogenmentalität jedenfalls bekommt eine bisher ungeahnte Bedeutung, wenn man in bester Rambo-Gedächtnis-Manier versucht, einen Platz in der Heringsbüchse zu ergattern. Nur auf das vertraute Pöbeln und die blecherne, aus Handylautsprechern schallende Unterschichten-Musik muss man als standhafter, unerschütterlicher Berliner verzichten, die spanische Bevölkerung beweist in dieser Hinsicht selbst zur Hauptverkehrszeit einen ans Erstaunliche grenzenden Knigge-Charme.

Auch das alltägliche Straßenbild ist auf den ersten Blick geeignet, den Teutonen zu verwirren, fehlen doch in dieser an sich sehr sauberen Stadt fast vollständig die malerischen Hundehaufen, die in Berlin allerorten die Gehsteige verzieren. Und während man in der deutschen Hauptstadt schon mindestens das goldene Sportabzeichen braucht, um auch wirklich allen Tretminen gekonnt auszuweichen, kann man in Spanien ein schon verloren geglaubtes Gefühl für den eigenen Körper wieder entdecken: das Schlendern. Einfach mal schauen und staunen, ein Prachtbau reiht sich an den anderen, hier der Prado, da das Estadio Bernabeu, dort der Plaza Mayor.

Und als wäre die bereits gepriesene Reinlichkeit in Bezug auf fehlende tierische Exkremente auf den Gehwegen nicht schon genug, gibt es auch noch die kleinen grünen Männchen. Nicht vom Mars, sondern vom „Medio Ambiente“, einer Art Umweltpolizei. Eine Großdemonstration für die Rechte der Schwulen? Die grünen Jungs sind dabei und putzen direkt hinter der Veranstaltung her. Die MTV Music Awards mit zehntausenden Besuchern und Tonnen von Müll? Am nächsten Morgen ist an der Puerta de Alcalá nichts mehr davon zu sehen.

Wer nach so einer Veranstaltung Hunger bekommt, findet in den unzähligen Restaurants und Kneipen bestimmt etwas Passendes, und ist mithin überrascht sowie erfreut: der Magen wird voll aber der Geldbeutel bleibt es auch; zu kleinen Preisen werden teils üppige Drei-Gänge-Menüs serviert, in Spanien die übliche Art der Verköstigung. Obacht: Am besten immer etwas Salz mit sich führen bzw. mit Nachdruck danach verlangen, die spanische Küche jedenfalls scheint dieses Gewürz kaum zu kennen.

Auch der anschließende Drink in der Bar um die Ecke kann am Wochenende zu einem Abenteuer werden, wenn gerade Real Madrid ein Spiel austrägt (gut, vielleicht auch bei Spielen von Atlético Madrid oder einer anderen spanischen Mannschaft). Lautstark johlende Fans, wüste Beschimpfungen der unschuldig übertragenden Fernsehapparate und aufgrund der Spielspannung versiegender Getränkenachschub sind aber annehmbare Nebenerscheinungen im Tausch zu echter Atmosphäre, die man in Deutschland so sonst nur alle zwei Jahre auf den Fanmeilen wiederfindet.

Der feierwütige Berliner, der nur die allerbesten Discotheken und Veranstaltungen gewöhnt ist, mag sich allerdings wundern, wenn später in vielen Discotheken zu für Hauptstädter völlig unüblichen Zeiten das Licht an geht, wobei es draußen noch gar nicht wieder hell ist. Aber auch in diesem Fall ist Abhilfe nicht weit, so findet man in den allgegenwärtigen Spätverkaufsläden eigentlich immer noch ein letzte Bier für den Nachhauseweg. Dass diese Läden auch „Chino“, also Chinese genannt werden, hat keine rassistischen Motive, sie werden meistens einfach von Chinesen geführt. Aber auch den indischen Lebensmittelladen um die Ecke wird man Problemlos finden, wenn man einfach fragt: „Donde está el chino?“

Dennoch ist gerade beim Genuss von Alkoholika Vorsicht angebracht, denn der ist auf Spaniens Straßen gesetzlich verboten und wird von übereifrigen und überall anwesenden Polizisten im Zweifelsfall mit einer Geldstrafe von mehreren hundert Euro veranschlagt.

Wenn trotzdem noch genügend Geld für ein Souvenir übrig bleibt, schlägt für den Deutschen aber endgültig die unangenehme Stunde der Wahrheit: es ist in Spanien anscheinend bei Strafe untersagt, in Souvenirläden weniger als 80 der Motive mit der spanischen Fußballweltmeistermannschaft anzubieten.

Darauf vor dem Rückflug noch einen kleinen Snack - am besten Pulpo.

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