Der schleichende Wandel

16.12.2007 - Stefanie Claudia Müller - scm-communication 

Der Wandel kommt schleichend, zeigt sich erst nur im Detail, bevor er auch im Groben sichtbar wird. Am Anfang erschreckt man noch, dann freut man sich irgendwie, weil es bedeutet, dass man integriert ist, sich wohl fühlt. Die Rede ist von der Anpassung an die hiesigen Geflogenheiten und die langsame Metamorphose von einem pünktlichen überkritischen Deutschen in einen sehr flexiblen lebensfrohen Spanier.

Mir wurde es letztens beim morgendlich Kaffee in der Bar um die Ecke klar, dass es nach fast sieben Jahren in Spanien kein Zurück mehr gibt zu vielen guten alten deutschen Sitten. Ich bekam einen Anruf von dem Korrespondenten aus München. Der fragte verwirrt, ob er mich störte und ich fragte warum. "Na, es ist halt doch etwas laut im Hintergrund."

"Ach so, dass ist doch bloß die Bar. Ich frühstücke inzwischen nur morgens auswärts wie die Spanier." Mein Kollege, der sicher schon seit zwei Stunden auf den Beinen war, zahlreiche Themen bei der Redaktion in Düsseldorf angemeldet hatte, wusste nicht, was er sagen sollte. Wahrscheinlich hat er gedacht: Da in Spanien wird eh nicht gearbeitet.

Vor wenigen Jahren habe ich das auch noch gedacht. Ich habe vor den Spaniern noch das deftige deutsche langgezogene Frühstück hochgehalten, für das man dann auch früher aufsteht, weil es so schön ist. Dabei liest man die Zeitung, die einem nach Haus geschickt wird. Damals habe ich die Nase über die unmögliche Sitte gerümpft, in verrauchten Bars morgens vor der Arbeit, meist im Stehen, statt gemütlich im Kreise der Familie zu frühstücken. Rasch wird durch die am Kiosk gekaufte Zeitung geblättert. Die Devise war bei mir immer: ordentlich Wurst und Käse aufs Brot, Kakao und Obst, um den Tag gut anzufangen. "Facettenreich essen ist wichtig, nicht immer dasselbe", erklärte ich den Spaniern, die mir freundlich lächelnd zuhörten, aber wahrscheinlich dachten: "Die spinnt doch." Man bekommt ja auch keine ordentliche Wurst in Spanien und Brot schon gar nicht. Hat lange gedauert, bis ich das kapiert habe.

Inzwischen predige ich das "deutsche Musterfrühstück" aus mütterlicher Pflicht nur noch meinen Kindern, halte mich selber aber kaum noch dran. Sie zwangsweise auch immer weniger. Wie als wäre es zwangsläufig, habe ich bis 10 Uhr kaum Hunger. Wenn ich dann mit der Zeitung in die Bar stapfe, esse ich das in der Pfanne gebratene, schöne fettige Toast und beginne den Tag mit wie ich finde "puren Luxus". Dazu einen starken Kaffee. Nur der frisch ausgepresste Orangensaft ist bei diesem "spanischen Frühstück" noch gesund.

Aber leider oder Gott sei Dank habe ich auch andere "Unsitten" von den Spaniern übernommen: zu spät kommen. Es passiert mir immer öfters. Ich frage mich warum, wo ich es eigentlich so verurteile.Ich denke, es liegt daran, dass keiner wirklich böse ist, wenn man etwas zu spät kommt, weil es ja alle erwarten und auch selber nicht pünktlich zum Termin kommen. Auch die flexible Planung habe ich mir zu eigen gemacht. Es gibt immer noch Kollegen, die planen Reisen innerhalb Spaniens wochenlang vorher. Ich habe diese Unsitte inzwischen abgelegt. Es bringt viel mehr, alles vor Ort zu erledigen. Es ist viel effizienter, weil Spanier auf e-mails oder Telefonanrufe, vor allem in Presseabteilungen, sowieso oft nicht antworten.

Nur bei einer Sache habe ich mich nicht geändert: Wenn mir etwas serviert ist, was schlecht oder zu teuer ist, wenn ich etwas kaufe, was zu teuer ist oder Telefónica mir wieder zuviel abgerechnet hat. Dann murre ich lautstark. In der Hoffnung, dass die Spanier vielleicht auch mal etwas von mir lernen.....

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