Der Urlaub in der Heimat

08.11.2010 - Janette Wieland 

Die Freude war groß, die Erwartungen gemischt: Nach einigen Monaten in Spanien ging es für mich nun das erste Mal als Urlauberin nach Deutschland. Allein die Vorstellung, Urlaub zu Hause zu machen, war irritierend. Hat man doch noch vor kurzem in diesem Land gelebt, eine Heimat gehabt, Freunde besucht und sich über die Staus auf den Autobahnen geärgert. Und doch ist Spanien schnell zur neuen Heimat geworden: Auch hier regt man sich über die täglichen Staus auf, auch hier besucht man Freunde. Aber wie verschieden diese Welten sind, wie unterschiedlich die Heimaten sein können, weiß man erst, wenn man wieder zurück aus dem alten im neuen Zuhause ist.

Schon der Landeanflug auf Frankfurt weckte erste Heimatgefühle: Durch eine dichte Wolkendecke ging es abwärts, es wackelte, Tropfen bahnten sich ihren Weg über die kleinen Fenster des Flugzeuges. Um uns herum war alles grau. Dann aber der Durchbruch: Die Wolken lichteten sich, erste Bäume, Felder und Häuser kamen zum Vorschein. Zu Hause.

Natürlich bekam ich erstmal einen Schock: Ich hatte den deutschen Wetterbericht zwar intensiv verfolgt, aber auf diese Art von Kälte war ich nicht vorbereitet. 7 Grad, Regen und die Feuchtigkeit in der Luft ließ die Kälte noch einmal deutlich unangenehmer wirken. In den kommenden Tagen war die Sonne allerdings wieder gnädig und brachte die ganze deutsche Oktober-Schönheit der Natur zum Vorschein: Farben, wohin man blickte. Grün ging über in gelb, braun mischte sich mit einem dunklen, intensiven rot. Dazu die saftigen, grünen Wiesen. Ein herrlicher Anblick. Und obwohl die Luft kalt und feucht war, kam sie mir irgendwie reiner, sauberer vor. Dazu kam die Stille. Kein Sirenengeheul, keine hupenden, dröhnenden Autos und Motorräder, nur ab und zu mal ein krähender Hahn, die gurrenden Tauben oder der prasselnde Regen. Fast schon eine gespenstige Ruhe.

Ein weiteres Highlight war natürlich die ausgiebige Vielfalt an deutschen Nahrungsmitteln: Schweinebraten, Kassler, Rinderbraten, Dampfnudeln, Bratwurst, Leberwurst und natürlich frische Brötchen und Brot in allen Variationen. Nicht zu vergessen das Kölsch, das ich in Spanien schmerzlich vermisst hatte. Ich habe sicherlich einige Kilo zugenommen, aber das war es mir wert.

Diese deutsche Idylle hatte allerdings auch ihre Schattenseiten. Diese machte sich bemerkbar, sobald ich mal wieder einen deutschen Supermarkt betrat. Ist es in Spanien so, dass ich in der Warteschlange an der Kasse locker hätte promovieren können, konnte man an der deutschen Kasse noch nicht einmal in Ruhe seine Nase schnäuzen. Da wurde von hinten mit dem Einkaufswagen gedrängelt, geschubst und geschimpft, denn Zeit hatte hier offenbar niemand. Nein, diese Art von Mentalität hatte ich nun wirklich nicht vermisst.

Auch die offensichtliche deutsche Sauberkeit und Ordnung wurde mir wieder bewusst: Bürgersteige und Rinnen waren sauber gekehrt, Büsche und Sträucher akkurat geschnitten und es hatte den Anschein, als ob jeder Bewohner emsig darauf bedacht sei, seine vier Wände für Google Streetview oder eine mögliche Homestory auf Hochglanz zu schrubben. Dazu gehörte natürlich auch das unverzügliche Wegräumen der Mülltonnen, sobald die Müllabfuhr außer Sichtweite war.

All das hat natürlich seinen eigenen Charme, das macht das normale deutsche Leben aus und die Gewohnheit und das Motto „so macht man das eben“ lässt besonders hier die Unterschiede der Mentalitäten herausstechen. Eine offensichtlich heile Welt, in der Fassaden glänzen und so gut wie alles in geregelten Bahnen läuft auf der einen Seite, und die schroffe,teilweise chaotische aber ehrliche und liebenswerte Lebensweise auf der anderen. Beide Seiten haben ihre Vor- und Nachteile. Ich habe zwar in meinem spanischen Zuhause einiges aus meiner deutschen Heimat vermisst. Erstaunlicherweise habe ich aber festgestellt, dass ich auch in den zwei Wochen Deutschland-Urlaub „Heimweh“ hatte.

Kommentare (0) :

Blog kommentieren
Blog-Archiv
  • 09.11.2020 [Kommentare: 2]

    Corona-Bombe

    „Kannst du Emma heute von der Schule abholen?”, erreichte mich unerwartet eine Nachricht von Emmas Vater Hugo, als ich erst gefühlte fünf Minuten im Büro war und noch nicht einmal ansatzweise ein Viertel meiner täglichen Festivalarbeit erledigt hatte.. Blog weiterlesen

  • 05.10.2020 [Kommentare: 0]

    Klassengesellschaft

    Neulich saßen wir mit unserem diesjährigen Festivalteam, das aus Luis, mir und drei Praktikanten besteht, in der Pause wieder in unserem Stammcafé in Alcalá, San Diego Coffee Corner, ein modernes Lokal an einer der Ecken der zentralen Plaza de los Ir.. Blog weiterlesen

  • 03.06.2020 [Kommentare: 0]

    Die Suche nach den Schuldigen

    Jetzt weiß ich, wieso ich während der Quarantäne nach Jahren endlich wieder gut und fest schlafen konnte, der Geräuschpegel war zehn Wochen lang deutlich niedriger. Am ersten Freitag in Phase 1 war wieder einiges los auf den Straßen Montecarmelos... Blog weiterlesen

  • 26.04.2019 [Kommentare: 0]

    Spanien bringt mich in Versuchung

    Schon seit fast einem Jahr bin ich zur vegetarischen Ernährung übergegangen, aus ethischen und ökologischen Gründen. Das heißt, ich versuche es zumindest. Mir war schon bewusst, dass es in Spanien etwas schwieriger werden würde – aber, dass ich so.. Blog weiterlesen

  • 04.02.2019 [Kommentare: 0]

    Die Chinos – eine Welt für sich

    Als ich neulich mit einer Freundin von Zuhause telefonierte, erwähnte ich beiläufig den Chino in meiner Straße. “Chino?” fragte sie. Ach ja – die Chinos haben wir ja in Deutschland gar nicht. Doch wie beschreibt man dieses “Phänomen” am besten? Die.. Blog weiterlesen

  • 14.01.2019 [Kommentare: 0]

    Es ist nie zu spät!

    Immer wieder die gleiche Diskussion: “¡A las 7 de la tarde no se cena!” – Um sieben Uhr nachmittags isst man noch kein Abendessen! “Ich hab aber jetzt schon Hunger!” “¡Es porque has comido hace horas!” - Du hast ja auch schon vor ‘ner Ewigkeit .. Blog weiterlesen

  • 08.08.2018 [Kommentare: 0]

    Im deutschen Exil – ganz scharf

    Manchmal lebt unsere Familie ja das deutsch-spanische Kauderwelsch. In sämtlichen Belangen. Sei es, dass der Nachwuchs sprachlich spanische Dörfer für mich auffährt: Papa, kannst Du mir endlich die Kuchenfarben bringen?? Was, wie?! [Papa sucht.. Blog weiterlesen

  • 04.07.2018 [Kommentare: 0]

    Von der WM zur Ahnenforschung

    Nach dem Ausscheiden der deutschen und nun der spanischen Nationalmannschaft wird es natürlich für unsere deutsch-spanische Familie ganz schwierig mit dem Weiterfiebern. Doch die Jungs halten ganz gut mit. Zu EM 2016-Zeiten nach dem Aus der Deutschen.. Blog weiterlesen

  • 27.11.2017 [Kommentare: 0]

    Rosamunde Pilcher im spanischen Fernsehen

    Als ich einmal an einem Nachmittag am Wochenende wahllos durch das spanische Fernsehprogramm zappe, werde ich plötzlich stutzig: Sind das nicht deutsche Schauspieler da auf dem Bildschirm? Heißt das etwa, dass ich mir gute deutsche Filme im.. Blog weiterlesen

  • 16.10.2017 [Kommentare: 0]

    Pendeln im Fernzug

    Es ist 06:42 Uhr und der Fernzug AVANT setzt seine Fahrt in Richtung Madrid nach einem kurzen Aufenthalt in Ciudad Real fort. Er ist fast komplett ausgebucht, aber von Chaos bei der Sitzplatzsuche keine Spur. „Wie praktisch! Ich muss ja gar nicht um.. Blog weiterlesen