Die Krise ist eine große Chance für Spanien

16.06.2008 - Stefanie Claudia Müller - scm-communication 

Krise ist nur gut. Die Chinesen wissen das. Das chinesische Wort dafür drückt gleichzeitig Chance aus. Für Spanien ist sie ein notwendiger Prozess, er wird schmerzhaft sein, aber ich bin sicher, dass das Land danach wirklich zu einer global bedeutenden wirtschaftlichen Macht aufsteigen wird. Vor allem dann, wenn die Unternehmer endlich handeln und mit den enormen Missständen aufräumen.

Nur durch diesen harten Einschnitt werden sie gezwungen, nicht nur selbstkritisch zu sein, sondern wirklich etwas zu ändern, hoffentlich auch an ihrem kurzfristigen Denken. Die spanische Wirtschaftskrise dauert bereits seit geraumer Zeit an, aber bis vor drei Monaten war das beim Konsum noch nicht zu spüren. Jetzt scheint Weltuntergangstimmung angesagt, weil keiner sich vorbereitet hat. Die Spanier tun so, als sei alles "plötzlich" so gekommen und noch schlimmer: Sie machen die internationale Finanzkrise und die Ölpreissteigerung dafür verantwortlich. Obwohl das absurd ist: Deutschland ist viel mehr ins internationale Finanzsystem involviert und unsere Spritpreise sind um einiges höher, die Inflation ist aber wesentlich geringer und bei uns geht es immer noch aufwärts.

Dass in Spanien wirtschaftlich einiges geändert werden muss, ist den meisten mindestens seit 2003 klar, als Experten schon vor dem einseitigen spanischen Wirtschaftswunder warnten. Aber weil die Konjunktur – dank der Immobilienblase und dem daraus resultierenden Konsumrausch – weiter nach oben ausschlug, sahen die immer noch viel zu kurzfristig denkenden Unternehmer keinen Handlungszwang. Ich finde es schlimm, dass gerade diese jetzt nach dem Staat und der Politik schreien. Nicht Aznar und auch nicht Zapatero haben Schuld. Vielleicht nur insofern, dass sie den Wahnsinn bei den Immobilien nicht rechtzeitig durch eine Sensibilisierung der Gesellschaft gestoppt haben.

Aber die Immobilienkrise ist auch nicht das größte Übel der spanischen Wirtschaft, es ist die Unternehmenskultur wie letztens auch ein spanischer Professor im Rahmen des Círculo hispano-aleman eingestand. Spanien ist immer noch eine starke Zwei-Klassengesellschaft, zumindest im Wirtschaftsbereich. Es gibt kaum Mittelstand, es gibt auch deswegen kaum Mittelklasse. Es gibt viele kleine Unternehmen und eine handvoll großer. Es gibt viele 1 000-Euro-Gehälter und im internationalen Vergleich sehr hohe Top-Management-Vergütungen. Dazwischen gibt es wenig Spielraum. Aznars und Zapateros Regierungen haben viele steuerliche Vergünstigungen eingeführt für solche Unternehmen, die in Ausbildung und Innovation investieren - aber nichts ist passiert. Jeder wollte nur Gewinn absahnen und nicht in die Zukunft investieren.

Das muss sich ändern. Die Gewinnmargen der großen Unternehmen und Banken müssen sich reduzieren, wie auch die spanische Notenbank jüngst forderte. Soll der Privatkonsum angesichts der steigenden Leitzinsen und der variablen Hypothekenverzinsung in Spanien nicht komplett einbrechen, müssten die Unternehmer jetzt mal an ihre Angestellten denken und nicht nur an die Führungskräfte. Hier muß die Regierung mal deutlicher werden, vor allem eine linke Regierung. Genauso wie bei der geringen Produktivität und Innovation der spanischen Industrie, die nicht auf Nichtkönnen, sondern auf Nichtwollen basiert. Spanien hat bereits die effizientesten Banken der Welt, warum lässt sich diese Mentalität nicht auf andere Bereiche der Wirtschaft übertragen?

Es muss Schluss sein mit der spanischen Abzockermentalität, die sich vor allem bei Banken, im Telekommunikationsbereich und im Tourismus breit gemacht hat. Zapatero muss im Dialog mit der Wirtschaft erreichen, dass die mittleren und großen Firmen bei ihren Mitarbeitern durch variable Zahlungen Kreativität und Innovation rauskitzeln und endlich mal Geld in die berufliche Ausbildung investieren. Es wird immer nur geredet, aber es wird von Seiten der Unternehmen nichts getan. Die meisten spanischen Berufe kennen keine unternehmerische Ausbildung. Es muss ja nicht die deutsche Lehre sein, aber man kann Mitarbeiter wie in Spanien häufig üblich doch nicht über Praktika ausbilden und damit auch ausbeuten.

Es kann nicht sein, dass hier zum Beispiel Journalisten ohne ein Voluntariat auf die Öffentlichkeit losgelassen werden. Die meisten haben nur Kommunikation studiert und hangeln sich lange Zeit von Praktikum zu Praktikum, bis sie eine feste Stelle bekommen. Schreiben über alles und jeden, ohne fundiertes Wissen zu haben. Bei Anwälten gibt es kein Referendariat, bei Lehrern auch nicht. Ganz zu schweigen von Mechanikern, Hotel- oder im Einzelhandelspersonal.

Das hat zu dem aberwitzigen Umstand geführt, dass man sich in diesem Land fast nur noch von allen übers Ohr gehauen fühlt. Die Preise sind gerade im Tourismus so brutal gestiegen, die Qualität des Service hat aber eher nachgelassen. Wir, die wir in Spanien leben, werden die Krise alle spüren und ich hoffe, wir werden daraus lernen. Es ist wirklich eine Chance für Spanien, sich in den nächsten Jahren auf die Riesen China, Indien, Brasilien, Russland und die bereits bestehenden wirtschaftlichen Weltmächte USA, Deutschland, Großbritannien und Japan vorzubereiten. Allein die Tatsache, dass über 500 Millionen Menschen auf der Erde Spanisch sprechen, machen das Land zu einer Weltmacht.

Spanien müsste Deutschland theoretisch überflügeln. Wirtschaft, Kultur und Außenpolitik müssen jedoch mitziehen. Das Potential dieses Landes ist sehr groß. Um das Ziel zu erreichen, ist jedoch eine gute Mannschaft mit Nationalstolz notwendig. Daran hapert es derzeit noch, weil gerade mal sechs große Unternehmen es geschafft haben, sich international einen Namen zu machen und jede der 17 autonomen spanischen Regionen konstant auf ihre Besonderheiten besteht, statt nach Gemeinsamkeiten zu suchen. So kann man sich schlecht international verkaufen.

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