Ein Nest für Kinder

05.12.2011 - Stephanie von Lukowicz 

Haben auch Sie Angst, Ihr Kleines aus dem Nest zu werfen? Es ist ein grosser Schritt, wenn wir wieder arbeiten müssen und unser Kind zum ersten Mal alleine ausser Haus soll. Dieser Schritt stand mir ziemlich bevor, ich habe ihn auch herausgezögert bis mein Sohn mehr als zwei Jahre alt war, aber nun haben wir eine gute Lösung gefunden:

KINDER in Poblenou ist eine Kinderkrippe und Kindergarten (ab 8 Monaten bis 6 Jahren), wo das Kind und sein individueller Entwicklungsprozess im Vordergrund stehen. Das konnte ich selbst in der Eingewöhnungphase meines Sohnes miterleben. Ein Elternteil oder Vertrauensperson des Kindes begleitet es, bis es sich in der neuen Umgebung sicher fühlt und alleine bleiben kann. Zu Anfang bin ich mit Felip dort geblieben und nach und nach immer länger weggeblieben bis er schliesslich ohne Probleme alleine dort blieb. Und es gibt keine Vorgaben von Seiten des KINDER wann dieser Prozess zu Ende sein soll. Auch die verschiedenen Etappen des Tages haben mir gut gefallen: Morgens gibt es als erstes ein gemeinsames Frühstück, das die Kinder selber mitbringen. Jeden Tag trägt mein Sohn stolz sein kleines Täschchen mit Brot, Obst, Joghurt, Keksen oder was wir eben an diesem Morgen für ihn eingepackt haben und packt es dann im KINDER ganz stolz aus und zeigt es allen. Das gefällt ihm so gut, dass wir beschlossen haben, ihn immer vor 9h hinzubringen. Es gibt auch noch eine zweite Ankunftszeit von 9.45 bis 10h für die Langschläfer. Wenn auch die zweite Schicht eingetroffen ist, versammeln die ErzieherInnen und HelferInnen (jeweils 2, sprich 4 Erwachsene für höchstens 16 Kinder, ein kaum zu schlagender Schnitt...) das Grüppchen im Kreis, um das Begrüssungslied bei dem jedes einzelne Kind mit Namen angesprochen wird, zu singen. Schon nach ein paar Tagen sang mein Sohn zu Hause alle möglichen Namen seiner kleinen Freunde: „Ist der Nico da, ist die Mira da, ist der Jakob da? Ja, der Jakob, der ist da....“ auch viele andere lustige Lieder werden zur Begeisterung der Kleinen unter Beteiligung von Händen und Füssen gesungen.

Dann geht es an die frische Luft, in den Hinterhof, der ein einziger grosser Sandkasten ist und auch ein Trampolin (mit Sicherheitsnetz) hat, das sich grösster Beliebtheit erfreut. Wem das freie Spielen zu langweilig ist, der darf am Tisch auf der Terrasse kneten oder malen....

Vor dem Mittagessen werden schnell alle Händchen gewaschen... und dann kommt nur biologisches auf den Tisch: ein ausgewogenes Menü, das jeden Tag wechselt und über die Woche verteilt alle notwendigen Nahrungsmittel enthält: immer Gemüse, einmal Fleisch, einmal Fisch, einmal Hülsenfrüchte etc. danach wieder Hände waschen, freies Spielen oder Basteln.

Und wenn ich Felip dann abhole, kann mir immer jemand sagen, was er gegessen hat, wie der Tag für ihn war, ob er Gross gemacht hat, mit wem er gespielt hat etc. all diese kleinen Sachen, die man wissen muss, um sich nicht aus einem Teil seines Lebens ausgeschlossen zu fühlen.
Und das ganze auch noch auf deutsch, wo die Verständigung einfach klappt, denn es gehört ja nicht nur Sprache, sondern auch ein gemeinsamer kultureller Hintergrund dazu. Auch wenn ich schon viele Jahre in Barcelona lebe, ist mir das Erziehungssystem hier natürlich nicht vertraut, denn ich bin in Deutschland gross geworden. Felip geht in die deutsche Gruppe mit Erzieherinnen aus Deutschland und einem Konzept von ganzheitlicher Pädagogik, das man hier ansonsten kaum findet. Es gibt noch eine englische, spanische und katalanische Gruppe, die aber nach dem gleichen System des individuellen Eingehens auf die Kinder geführt werden. Für meinen Sohn ist es sehr wichtig, dass sich jemand mit ihm beschäftigt und auf ihn eingeht und ich denke, dass er deshalb so gerne hingeht. Und für mich aus einer gemischtsprachigen Ehe ist natürlich der sprachliche Aspekt sehr wichtig, denn deutsch wird immer seine schwächere Sprache sein in einer spanisch- und katalanischsprachigen Umgebung. Dabei entsteht aber keine deutsche Insel, denn die meisten Kinder kommen aus gemischtsprachigen Familien und die ausserschulischen Aktivitäten beziehen auch die Eltern mit ein: auch der katalanische Papi kann zum Spielnachmittag auf deutsch, zur Psychomotorik, zur Babymassage oder zum Laternenzug mit St.Martins-Liedern kommen.

Für uns ist der KINDER jeden Tag wieder die richtige Lösung, unseren Sohn nicht aus dem Nest zu werfen, sondern ihm fliegen lernen zu helfen.

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