Es ist leichter als Deutscher in Spanien zu leben als umgekehrt.

30.03.2009 - Clementine Kügler 

Pfirsiche und Kokusnüsse, Paul Ingendaays Blog und die folgende Reaktion darauf: „Es läßt in Spanien jeder jeden leben, ohne sich einzumischen oder ständig an irgendwelche Pflichten oder Meinungsvorgaben zu erinnern. (...) Bei meinen kurzen und seltenen Deutschlandbesuchen fällt mir immer wieder auf, wie sehr man doch in Deutschland für die anderen lebt, besser gesagt für deren Meinungen und wie wenig dort wirklich aus Spaß oder Überzeugung gemacht wird“. Das finde ich eine sehr treffende Analyse. 

Ich war eine Woche in Berlin – kaum zurück, fielen die charakterlichen Kulturunterschiede wie Hagelkörner aufs Gemüt: In Barajas ging es zum Kofferabholen und eine Spanierin wurde von ihrem Mann, der vor ihr lief, gefragt, wo es lang geht. Darauf sagte sie „dalang“. Da er ja vor ihr nicht sah, wohin die Gestik deutete, fragte er geduldig „wolang?“. „Dalang“ hieß es wieder und so weiter. Es war klar: hier stört es nicht, statt eines präzisen „links“ einen kleinen Wortwechsel zu investieren, während an mir, der gerade wieder aufgeladenen deutschen Seele, die Ungeduld zehrte. Dieses Gerede, das von früh bis spät die Straße, die U-Bahn oder den Bus, den Arbeitsplatz, den Supermarkt und die Cafes, den Parkspaziergang und manchmal auch den Kinobesuch begleitet, ist lebendig, quirlig, sprudelt. Dass es nicht immer unbedingt notwendig ist, stellt sich den Spaniern gar nicht als Problem. Das ist ein typisch deutscher Gedanke nach Effizienz, Konzentration, Energiehaushalten. 

Stattdessen gibt es dann in Deutschland diese belehrende Art, vor der man nie sicher sein kann. Nach so vielen Jahren in Spanien, fühle ich mich bei jedem Heimatbesuch fremder. Was mache ich wohl jetzt wieder falsch? Allzuviel scheint es nicht zu sein, man bekommt es ja sofort gesagt. Im Botanischen Garten bei einer kleinen Brücke die Einbahnrichtung missachtend, wird man flugs zurechtgewiesen, unvergesslich die Regeln auf Laubsäcken und für Mülltonnen. Hatte ich schon mal. Dass der Tüv abgelaufen ist, erfährt man von Rentnern, die drohend vor dem Auto stehen.
Dafür flötet einem der Klassiksender im Radio quasi zum Ausgleich alle paar Minuten ein „Bleiben Sie entspannt“ entgegen, als wäre man ein HB-Männchen, das an die Decke geht, was man nach der dritten Aufforderung auch tatsächlich tun möchte. Ähnlich bei Einkäufen am Samstag: da wird man jedes Mal mit „und ein schönes Wochenende“ verabschiedet, bis meine spanische Familie meinte, ob die sich nicht mal um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern möchten. Klar, dass es im Spanischen keine Entsprechung für den Wunsch “Schöner Feierabend!“ gibt. Man wünscht sich nichts, man geht gleich zusammen ein Bierchen trinken oder lässt es bleiben. 

Was ist also los mit uns Deutschen? Sind wir unhöflich, berechnend höflich? Herzlich nur im engesten Kreis? Spüren die Deutschen in Deutschland gar nicht mehr, dass ihr Effizienzgetue anderen Kulturen auf die Nerven geht? Da kommt dann dieses belehrende: „Ja, können die denn nicht...?“ Aber da muss man sehr aufpassen. Natürlich, machen wir doch alles besser, heißt es schnell. Und auf Mallorca würde auch kein Deutscher freiwillig leben, wenn es nicht wegen des Wetters wäre!
Als die spanische TV-Sendung „Madrileños x el mundo“ in Stuttgart lebende Madrider interviewte, machten die sich alle lustig darüber, dass die Autos schon vor dem Zebrastreifen hielten, als wären die Deutschen zu blöd, selbst darauf zu achten, nicht unter die Räder zu kommen. Oder die Putzwoche, oder dass niemand die Schuhe klaut, die vor den Wohnungen ausgezogen und hingestellt werden, etc. Das war mir doch etwas lästig, dass die Madrider die Schwaben da als kauziges Völkchen hinstellten, obwohl wie Berliner das ja durchaus auch gerne tun. Und doch sah man diese Wohnqualität, diese Lebensqualität, alles organisiert und angenehm und nachts kann man schlafen, weil Ruhe ist. 

Sind die Spanier lustig und oberflächlich? Mag sein. Es zieht durch die Fenster, die Mieten steigen, die Taxifahrer zocken ab und wenn es schneit, macht der Flugplatz zu... alles richtig, aber sie können mich Deutsche leichter wegstecken als die Deutschen die Spanier. Toleranz und Höflichkeit sind in diesem Sinne eindeutig spanische Eigenschaften.

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