Falsche Freunde

09.05.2007 - Stefanie Müller - scm-communication 

Am Anfang hat es mich ziemlich verwirrt, aber irgendwie auch unheimlich stolz gemacht. An jeder Ecke in Madrid nannte man mich „guapa“ – Hübsche. Nicht nur die Bauarbeiter, auch in den Geschäften und sogar auf dem Amt. Dass auch Frauen mich so nannten, brachte mich zunächst nicht ins Stutzen. Ich genoss als große Blonde meine scheinbar grenzenlose Anziehungskraft auf die Spanier. Es dauerte einige Monate, bis ich realisierte, dass komischerweise auch die dicke alte Frau von dem Obstverkäufer so betitelt wurde. Ich versuchte es lange zu ignorieren, bis spanische Freunde mich aufklärten. Guapa bedeutete in dieser Anwendung gar nicht Hübsche, sondern eher soviel wie „Jetzt hör’ aber mal!“ oder einfach Frau.Ähnlich ging es mir mit „hija“ – der Tochter. Am Anfang dachte ich immer, ich verhöre mich. Völlig unbekannte Frauen machten mich sprachlich zur ihrer Tochter. Auch meine spanische Schwiegermutter nannte mich von Anfang an so. Ich dachte natürlich, dass sie mich besonders schnell akzeptiert hat. Es dauerte seine Zeit, bis ich merkte: es ist einfach jede überall eine „hija“ (oder: ..., bis ich merkte, dass einfach jede überall eine „hija“ ist.). Die Enttäuschung war groß, fast genauso wie bei der guapa. Man ist halt nichts Besonderes.Ja und dann gibt es da noch den „tío“ – den Onkel. Ich dachte am Anfang, dass dieser in Spanien eine sehr wichtige Rolle spielt. Denn im täglichen Sprachgebrauch taucht er immer wieder auf. Meine Schwägerin ist eine der Spanierinnen, die in einem Satz mindestens drei Mal tío sagt. Erst vor rund zwei Jahren wurde mir bewußt, dass das nichts mit ihrer guten Beziehung zu ihrem Onkel zu tun hat, sondern sie einfach eine schludrige Sprache pflegt. Denn „tío“ bedeutet so viel wie „Mensch, ich sag Dir“ oder dieser verdammte Typ. Ach ja und dann gibt es da noch „cariño“, übersetzt bedeutet das soviel wie „meine Liebste oder Liebster“. In Spanien nennen einen auch völlig Unbekannte so, selbst am Telefon ist man „cariño“ hin und „cariño“ her. Höfliche und herzliche Menschen diese Spanier, dachte ich am Anfang. Bis ich merkte, dass dieses Gesäusel in Wirklichkeit oft überheblich gemeint ist. So nach dem Motto: „Liebchen, Du weißt doch gar nichts.“Ganz vorsichtig muss man bei Redewendungen sein, die mit der madre, der Mutter, zu tun haben. Ich dachte anfänglich, warum reden die Spanier immer von meiner Mutter, beschimpfen sie sogar, sie kennen sie doch gar nicht. Ich möchte hier gar nicht die zahlreichen mütterlichen Beleidigungen aufzählen. Aber eine Redewendung sollte man wirklich nicht so schwer nehmen: hijo de puta - Hurensohn. Das ist fast jeder irgendwann mal.Verwirrend ist allerdings der Ausdruck „de puta madre“. Es hat mich anfänglich immer erschreckt, wenn das jemand sagte. Ich dachte, es sei ebenfalls eine üble Beschimpfung. Irgendwie passte aber der Gesichtsausdruck derjenigen, die sie aussprachen, nie dazu. Erst später erfuhr ich, de puta madre bedeutet nicht wie von mir gedacht von einer Hurenmutter, sondern: „Mann, das ist echt geil.“ Sprachlich kann man also in Spanien ganz schön ausrutschen, wenn man keine einheimischen Freunde hat, die einen aufklären...

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