Hat die Liebe ein Ablaufdatum?

05.12.2016 - Karin Sommer 

Ich lernte sie 2003 kennen und verliebte mich auf den ersten Blick. Ich dachte daran, zehn Jahre später wieder zu kommen, aber es dauerte nur ein Jahr, und da stand ich, mit meinem Koffer. Sowie andere Menschen eine Person zurücklassen für einen Liebhaber, etwas das ihnen immer völlig unvorstellbar erschienen war, ließ ich mein ganzes geregeltes Leben zurück für eine Stadt.

 

Die erste Phase der Verliebtheit – ich stieg aus dem Flugzeug und heulte vor Glück als ich das Meer roch. Ich konnte mich nicht sattsehen an den Häusern, den vielen Menschen (ich kam aus einer österreichischen Kleinstadt, in deren Fußgängerzone ich sonntags das einzige menschliche Wesen war) und fühlte das pulsierende Leben hochbeglückt in den Strassen und in meinen Adern fließen.

 

Jemand erzählte mir, dass diese Stadt sehr einladend wirkt, aber es einem dann doch nicht so leicht macht, wie es aussehen mag. Das stimmt, aber wir beide bewegten uns fast krisenlos von blinder Verliebtheit zu einem weiseren Sehen des Anderen. Ja, sie war nicht perfekt. Sie roch nicht immer gut, war zuweilen ohrenbetäubend laut, und warf mich manchmal auf mich selbst zurück, ohne sich um meine emotionalen Bedürfnisse zu kümmern. Wirtschaftlich gesehen war sie vielleicht auch nicht die beste Wahl, aber all das waren für mich Herausforderungen, taten meiner Liebe jedoch keinen Abbruch.

 

Den Monaten der seligen Verliebtheit folgten Jahre der Zufriedenheit mit dem seltsamen Gefühl von Heimat an einem Ort, dessen Sprachen nicht meine waren, dessen Gewohnheiten langsam meine wurden, und dessen Seele immer angenehm nah und fremd zugleich blieb.

 

In all dieser Zeit gab es irgendwo in Raum und Zeit eine Uhr, die tickte. Neben ihr saß ein alter, verschrumpelter Zwerg, der ein bisschen aussah wie die Hauselfen in „Harry Potter.“ Er wusste, dass es ein Ablaufdatum für diese Liebesgeschichte gab. Nicht für die Liebe an sich, die würde die Zeit überdauern, aber für die gemeinsam gelebte Alltagsgeschichte.

 

Manche Liebesgeschichten haben eben ein Ablaufdatum und andere haben keines. Warum das so ist, weiß eigentlich niemand, nicht einmal der Zwerg. Er lächelt nur jedes Mal in sich hinein, wenn er wieder einmal einen Menschen mit tellergrossen Augen sieht, die mit völliger Verständnislosigkeit fragen, warum eine Beziehung endete. Die Tatsache des Ablaufdatums würde diesen Menschen einfach zu banal vorkommen, deshalb behält der Zwerg diese Tatsache für sich.

 

Manchmal kündigt sich das Ablaufdatum an. Jahre vorher, manchmal Monate, Tage, Stunden, oder oft gar nicht. Im Falle von „gar nicht“ sind die Menschen am ratlosesten. In meinem Fall waren es Jahre. Die Ankündigung kam mit der Frage „Was hält dich hier?“ Ich fand immer neue Antworten. Manchmal klangen sie bestimmt, andere Male eher zögernd, fragend, und dann wurden die Sätze langsam leiser und wichen zuerst einem Ahnen, und dann einem Wissen, das etwas zu Ende ging.

 

Ich begann, die Sache mit dem Ablaufdatum zu verstehen. Es bedeutet ein Ende einer äußeren Form, es bedeutet, dass die Liebe eine andere Ausdrucksform, einen anderen Austragungsort, ein anderes Kleid braucht.  Es nimmt nichts weg und macht nichts weniger. Es zeigt nur einen Richtungswechsel an, gegen den wir uns wehren oder ihn umarmen können.

 

Die Liebe zum Leben und zu mir selbst hat mich nach Barcelona geführt. Dieselbe Liebe und die zu den Frauen und Mädchen, die mir am nächsten stehen, führt mich an einen kleinen Ort in Bayern.  

 

Ich werde nach wie vor regelmäßig nach Barcelona kommen, um mit KlientInnenen zu arbeiten, FreundInnen zu sehen, und um meiner Liebe zu dieser Stadt zu frönen. Natürlich schreibe ich auch weiterhin für euch und würde mich sehr freuen, eure Liebesgeschichten zu hören. Ich werde auch den Zwerg zum Thema „Ablaufdatum“ befragen, falls ihr da noch spezifischere Fragen habt.

 

*Karin Sommer ist Österreicherin und lebt seit 11 Jahren in Barcelona. Sie lehrt Menschen, ihr Leben mit Freude zu leben.

Mehr von ihr unter www.karinsommerbcn.com

Kommentare (0) :

Blog kommentieren
Blog-Archiv
  • 09.11.2020 [Kommentare: 2]

    Corona-Bombe

    „Kannst du Emma heute von der Schule abholen?”, erreichte mich unerwartet eine Nachricht von Emmas Vater Hugo, als ich erst gefühlte fünf Minuten im Büro war und noch nicht einmal ansatzweise ein Viertel meiner täglichen Festivalarbeit erledigt hatte.. Blog weiterlesen

  • 05.10.2020 [Kommentare: 0]

    Klassengesellschaft

    Neulich saßen wir mit unserem diesjährigen Festivalteam, das aus Luis, mir und drei Praktikanten besteht, in der Pause wieder in unserem Stammcafé in Alcalá, San Diego Coffee Corner, ein modernes Lokal an einer der Ecken der zentralen Plaza de los Ir.. Blog weiterlesen

  • 03.06.2020 [Kommentare: 0]

    Die Suche nach den Schuldigen

    Jetzt weiß ich, wieso ich während der Quarantäne nach Jahren endlich wieder gut und fest schlafen konnte, der Geräuschpegel war zehn Wochen lang deutlich niedriger. Am ersten Freitag in Phase 1 war wieder einiges los auf den Straßen Montecarmelos... Blog weiterlesen

  • 26.04.2019 [Kommentare: 0]

    Spanien bringt mich in Versuchung

    Schon seit fast einem Jahr bin ich zur vegetarischen Ernährung übergegangen, aus ethischen und ökologischen Gründen. Das heißt, ich versuche es zumindest. Mir war schon bewusst, dass es in Spanien etwas schwieriger werden würde – aber, dass ich so.. Blog weiterlesen

  • 04.02.2019 [Kommentare: 0]

    Die Chinos – eine Welt für sich

    Als ich neulich mit einer Freundin von Zuhause telefonierte, erwähnte ich beiläufig den Chino in meiner Straße. “Chino?” fragte sie. Ach ja – die Chinos haben wir ja in Deutschland gar nicht. Doch wie beschreibt man dieses “Phänomen” am besten? Die.. Blog weiterlesen

  • 14.01.2019 [Kommentare: 0]

    Es ist nie zu spät!

    Immer wieder die gleiche Diskussion: “¡A las 7 de la tarde no se cena!” – Um sieben Uhr nachmittags isst man noch kein Abendessen! “Ich hab aber jetzt schon Hunger!” “¡Es porque has comido hace horas!” - Du hast ja auch schon vor ‘ner Ewigkeit .. Blog weiterlesen

  • 08.08.2018 [Kommentare: 0]

    Im deutschen Exil – ganz scharf

    Manchmal lebt unsere Familie ja das deutsch-spanische Kauderwelsch. In sämtlichen Belangen. Sei es, dass der Nachwuchs sprachlich spanische Dörfer für mich auffährt: Papa, kannst Du mir endlich die Kuchenfarben bringen?? Was, wie?! [Papa sucht.. Blog weiterlesen

  • 04.07.2018 [Kommentare: 0]

    Von der WM zur Ahnenforschung

    Nach dem Ausscheiden der deutschen und nun der spanischen Nationalmannschaft wird es natürlich für unsere deutsch-spanische Familie ganz schwierig mit dem Weiterfiebern. Doch die Jungs halten ganz gut mit. Zu EM 2016-Zeiten nach dem Aus der Deutschen.. Blog weiterlesen

  • 27.11.2017 [Kommentare: 0]

    Rosamunde Pilcher im spanischen Fernsehen

    Als ich einmal an einem Nachmittag am Wochenende wahllos durch das spanische Fernsehprogramm zappe, werde ich plötzlich stutzig: Sind das nicht deutsche Schauspieler da auf dem Bildschirm? Heißt das etwa, dass ich mir gute deutsche Filme im.. Blog weiterlesen

  • 16.10.2017 [Kommentare: 0]

    Pendeln im Fernzug

    Es ist 06:42 Uhr und der Fernzug AVANT setzt seine Fahrt in Richtung Madrid nach einem kurzen Aufenthalt in Ciudad Real fort. Er ist fast komplett ausgebucht, aber von Chaos bei der Sitzplatzsuche keine Spur. „Wie praktisch! Ich muss ja gar nicht um.. Blog weiterlesen