Heute schon gestreikt?

23.10.2012 -  

Wer von öffentlichen Verkehrsmitteln abhängig ist wie ich, ist diese Tage wohl der Themen „Streik“ und „servicio mínimo“ überdrüssig. Nicht nur in Madrid, sondern in ganz Spanien wird in den letzten und kommenden Tagen immer wieder gestreikt und demonstriert.

Bis ich nach Madrid gezogen bin, waren meine Erlebnisse mit Streiks eher gering. Ich glaube, in meinen 25 Jahren habe ich bisher nur einen Streit des Nahverkehrs erlebt. Das war in Köln uund meine einzige Errinerung ist, dass die Auswirkungen von Schnee und Eis im Winter verherender auf meine Mobilität waren als der Streik selbst.

Mein erster Streik in Madrid war am 29.3.2012. Das weiß ich so genau, weil ich aufgeregt war und mich wohl gefragt habe, wie es so ist. Ich stellte mir leere Bahnhöfe, verzweifelte Passanten und Bahnfahrer mit Schildern vor dem Rathaus vor, die wilde Parolen schrien. So war es leider nicht ganz. „Servicio mínimo“ meint hier in Madrid fast einen besseren Service und eine häufigere Frequenz als in Köln zu normalen Zeiten. Viele Fahrgäste waren mehr verärgert als verzweifelt, aber nur weil im März auch die Fahrkartenpreise angehoben wurden und dann ein Streik unverschämt ist.

Wütende Bus- und Bahnfahrer habe ich vor dem Rathaus auch nicht angetroffen. Demonstranten gab es schon, aber das waren zum Großteil Studenten mit Töpfen und schicken bunten Schildern. Diese bunten Demontrationsschilder gehören ja heute auch schon fast zum Kulturgut von Madrid. Neben einem Foto von Plaza Mayor, Retiro und dem Palacio Real muss man mindestens ein Foto von einem Demontranten mit einem rebellischen Schild machen.

Das Streiken dieser Tage kommt mir noch halbherziger vor als vor Monaten. Vielleicht weil man sich inzwischen an Demonstranten in Sol gewöhnt hat, weil "servicio minimo" ständig und überall zu lesen ist oder vielleicht auch einfach, weil die meisten froh sind, dass sie überhaupt eine Arbeit haben.

Bleibt die Frage, ob ein halber Streik überhaupt noch was bewirkt? Bringt er mehr oder weniger als ein ehrgeiziger Vollstreik? Ich bezweifel, dass die Streiks generell wirkungsvoll sind. Sie werden die Politik nicht verändern und gehen am Ende nur zu Kosten der Bahnnutzer. Ich bin jedenfalls nicht wirklich genervt oder verärgert. Ich bin ein wenig verständnislos und wohl am meisten resigniert. Als ich gelesen habe, dass wieder am Freitag und Montag gestreikt wird, konnte ich nur müde lächeln und dachte mir: na gut.


Kommentare (0) :

Blog kommentieren
Blog-Archiv
  • 09.11.2020 [Kommentare: 2]

    Corona-Bombe

    „Kannst du Emma heute von der Schule abholen?”, erreichte mich unerwartet eine Nachricht von Emmas Vater Hugo, als ich erst gefühlte fünf Minuten im Büro war und noch nicht einmal ansatzweise ein Viertel meiner täglichen Festivalarbeit erledigt hatte.. Blog weiterlesen

  • 05.10.2020 [Kommentare: 0]

    Klassengesellschaft

    Neulich saßen wir mit unserem diesjährigen Festivalteam, das aus Luis, mir und drei Praktikanten besteht, in der Pause wieder in unserem Stammcafé in Alcalá, San Diego Coffee Corner, ein modernes Lokal an einer der Ecken der zentralen Plaza de los Ir.. Blog weiterlesen

  • 03.06.2020 [Kommentare: 0]

    Die Suche nach den Schuldigen

    Jetzt weiß ich, wieso ich während der Quarantäne nach Jahren endlich wieder gut und fest schlafen konnte, der Geräuschpegel war zehn Wochen lang deutlich niedriger. Am ersten Freitag in Phase 1 war wieder einiges los auf den Straßen Montecarmelos... Blog weiterlesen

  • 26.04.2019 [Kommentare: 0]

    Spanien bringt mich in Versuchung

    Schon seit fast einem Jahr bin ich zur vegetarischen Ernährung übergegangen, aus ethischen und ökologischen Gründen. Das heißt, ich versuche es zumindest. Mir war schon bewusst, dass es in Spanien etwas schwieriger werden würde – aber, dass ich so.. Blog weiterlesen

  • 04.02.2019 [Kommentare: 0]

    Die Chinos – eine Welt für sich

    Als ich neulich mit einer Freundin von Zuhause telefonierte, erwähnte ich beiläufig den Chino in meiner Straße. “Chino?” fragte sie. Ach ja – die Chinos haben wir ja in Deutschland gar nicht. Doch wie beschreibt man dieses “Phänomen” am besten? Die.. Blog weiterlesen

  • 14.01.2019 [Kommentare: 0]

    Es ist nie zu spät!

    Immer wieder die gleiche Diskussion: “¡A las 7 de la tarde no se cena!” – Um sieben Uhr nachmittags isst man noch kein Abendessen! “Ich hab aber jetzt schon Hunger!” “¡Es porque has comido hace horas!” - Du hast ja auch schon vor ‘ner Ewigkeit .. Blog weiterlesen

  • 08.08.2018 [Kommentare: 0]

    Im deutschen Exil – ganz scharf

    Manchmal lebt unsere Familie ja das deutsch-spanische Kauderwelsch. In sämtlichen Belangen. Sei es, dass der Nachwuchs sprachlich spanische Dörfer für mich auffährt: Papa, kannst Du mir endlich die Kuchenfarben bringen?? Was, wie?! [Papa sucht.. Blog weiterlesen

  • 04.07.2018 [Kommentare: 0]

    Von der WM zur Ahnenforschung

    Nach dem Ausscheiden der deutschen und nun der spanischen Nationalmannschaft wird es natürlich für unsere deutsch-spanische Familie ganz schwierig mit dem Weiterfiebern. Doch die Jungs halten ganz gut mit. Zu EM 2016-Zeiten nach dem Aus der Deutschen.. Blog weiterlesen

  • 27.11.2017 [Kommentare: 0]

    Rosamunde Pilcher im spanischen Fernsehen

    Als ich einmal an einem Nachmittag am Wochenende wahllos durch das spanische Fernsehprogramm zappe, werde ich plötzlich stutzig: Sind das nicht deutsche Schauspieler da auf dem Bildschirm? Heißt das etwa, dass ich mir gute deutsche Filme im.. Blog weiterlesen

  • 16.10.2017 [Kommentare: 0]

    Pendeln im Fernzug

    Es ist 06:42 Uhr und der Fernzug AVANT setzt seine Fahrt in Richtung Madrid nach einem kurzen Aufenthalt in Ciudad Real fort. Er ist fast komplett ausgebucht, aber von Chaos bei der Sitzplatzsuche keine Spur. „Wie praktisch! Ich muss ja gar nicht um.. Blog weiterlesen