Krümelgesellschaft und Serviettenparadies

03.09.2012 - Von Dorothee Schmidt 

Es heißt, eine wirklich gute und typische spanische Cerveceria erkennt man daran, dass der Fußboden so wenig von sich Preis gibt wie möglich. Wenn man also anstatt dessen Servietten, Zigaretten, Essensreste und andere müllähnliche Dinge vorfindet ist man genau richtig. Der durstige Spanier sucht sozusagend seine Bar nach dem Grad der Verschmutzung aus. Währenddessen in Deutschland genau jene beschriebene Bar wohl eher weniger bis keine Gäste haben würde.


Mir ist dieser Brauch derweil recht bekannt und nach monatelangem Training ist es mir gelungen, selbst zur Verschmutzung beizutragen. Das schwierige für mich war jedoch nicht, dass Betreten der Bar, sondern vielmehr Teil der Verschmutzung zu werden. Anfangs noch recht zögerlich, suchte ich immer nach einem Aschenbecher, um meinen Müll feinsäuberlich zu entsorgen. Da man sich jedoch so gut wie möglich der Kultur und dessen Sitten anpassen möchte, konnte ich Stück für Stück meine deutsche Erziehung unterdrücken und somit Teil der typisch spanischen Bargesellschaft werden. Auch wenn ich mich nun als offiziellen Barverschmutzer bezeichnen kann und zur deutsch-spanischen Barintegration beitrage, fehlt mir noch der eingestandene Stolz des Aktes. Rein optisch kann man mich von anderen spanischen Barverschmutzern nicht mehr unterscheiden. Innerlich jedoch muss ich immer erst über eine kleine Hürde springen, indem ich mir zuerst den Fußboden anschaue, um mich zu versichern, dass auch wirklich schon Müll da liegt wo er nach spanischer Sitte hingehört. Glücklicherweise findet dieser Prozess für Spanier unbemerkt statt und entlarvt mich nicht als sauberkeitsfanatische Deutsche.


Ein weiterer Schwerpunkt der Spanier liegt in Ihrem Serviettenkonsum. Natürlich muss man den Spaniern eingestehen, dass Sie aufgrund der Tapas schnell mal die Ölspuren an ihren Fingern beseitigen wollen, geht mir genauso. Außerdem möchte man ja auch zum Wohlfühlfaktor in der Bar beitragen… also ab auf den Boden damit! Jedoch konnte ich in meinem spanischem Umfeld auch außerhalb des Barbetriebs einen übermäßigen Serviettenkonsum feststellen: beim Mittag- sowie Abendessen muss immer eine Serviette neben dem Teller liegen, sonst kann es gar nicht erst losgehen. Bei mir zu Hause in Deutschland werden Servietten immer nur zu besonderen Anlässen ausgepackt. Da gibt es die Weihnachts-, Oster-, Silvester-, Geburtstags- oder „Wir-haben-Besuch“-Servietten, aber nicht die alltäglichen Essensservietten wie in Spanien. Meine spanischen Freunde haben mich auch schon als sonderliches Wesen ausgemacht, da ich ohne Serviette essen kann. Theorie meiner Freunde ist, wir Deutschen kleckern einfach viel weniger. Was ich insofern ausschließen würde, da ich selbst nicht mehr oder weniger kleckere als meine spanischen Freunde. Meine Theorie ist, dass der Spanier im Gegensatz zu uns Deutschen einfach jedes Mahl zelebriert und die von mir fälschlich bezeichnete „alltägliche Essensserviette“ ist eigentlich eine dieser besonderen Anlass-Servietten, ohne das sie so aussehen. Indize hierfür wären zum einen die festverankerten 3-Gänge-Mittagmenüs und zum anderen die regelmäßiger stattfindenden familiären Zusammenkünfte zum Essen – insofern die Familie in der Nähe wohnt.

Kommentare (0) :

Blog kommentieren
Blog-Archiv
  • 09.11.2020 [Kommentare: 2]

    Corona-Bombe

    „Kannst du Emma heute von der Schule abholen?”, erreichte mich unerwartet eine Nachricht von Emmas Vater Hugo, als ich erst gefühlte fünf Minuten im Büro war und noch nicht einmal ansatzweise ein Viertel meiner täglichen Festivalarbeit erledigt hatte.. Blog weiterlesen

  • 05.10.2020 [Kommentare: 0]

    Klassengesellschaft

    Neulich saßen wir mit unserem diesjährigen Festivalteam, das aus Luis, mir und drei Praktikanten besteht, in der Pause wieder in unserem Stammcafé in Alcalá, San Diego Coffee Corner, ein modernes Lokal an einer der Ecken der zentralen Plaza de los Ir.. Blog weiterlesen

  • 03.06.2020 [Kommentare: 0]

    Die Suche nach den Schuldigen

    Jetzt weiß ich, wieso ich während der Quarantäne nach Jahren endlich wieder gut und fest schlafen konnte, der Geräuschpegel war zehn Wochen lang deutlich niedriger. Am ersten Freitag in Phase 1 war wieder einiges los auf den Straßen Montecarmelos... Blog weiterlesen

  • 26.04.2019 [Kommentare: 0]

    Spanien bringt mich in Versuchung

    Schon seit fast einem Jahr bin ich zur vegetarischen Ernährung übergegangen, aus ethischen und ökologischen Gründen. Das heißt, ich versuche es zumindest. Mir war schon bewusst, dass es in Spanien etwas schwieriger werden würde – aber, dass ich so.. Blog weiterlesen

  • 04.02.2019 [Kommentare: 0]

    Die Chinos – eine Welt für sich

    Als ich neulich mit einer Freundin von Zuhause telefonierte, erwähnte ich beiläufig den Chino in meiner Straße. “Chino?” fragte sie. Ach ja – die Chinos haben wir ja in Deutschland gar nicht. Doch wie beschreibt man dieses “Phänomen” am besten? Die.. Blog weiterlesen

  • 14.01.2019 [Kommentare: 0]

    Es ist nie zu spät!

    Immer wieder die gleiche Diskussion: “¡A las 7 de la tarde no se cena!” – Um sieben Uhr nachmittags isst man noch kein Abendessen! “Ich hab aber jetzt schon Hunger!” “¡Es porque has comido hace horas!” - Du hast ja auch schon vor ‘ner Ewigkeit .. Blog weiterlesen

  • 08.08.2018 [Kommentare: 0]

    Im deutschen Exil – ganz scharf

    Manchmal lebt unsere Familie ja das deutsch-spanische Kauderwelsch. In sämtlichen Belangen. Sei es, dass der Nachwuchs sprachlich spanische Dörfer für mich auffährt: Papa, kannst Du mir endlich die Kuchenfarben bringen?? Was, wie?! [Papa sucht.. Blog weiterlesen

  • 04.07.2018 [Kommentare: 0]

    Von der WM zur Ahnenforschung

    Nach dem Ausscheiden der deutschen und nun der spanischen Nationalmannschaft wird es natürlich für unsere deutsch-spanische Familie ganz schwierig mit dem Weiterfiebern. Doch die Jungs halten ganz gut mit. Zu EM 2016-Zeiten nach dem Aus der Deutschen.. Blog weiterlesen

  • 27.11.2017 [Kommentare: 0]

    Rosamunde Pilcher im spanischen Fernsehen

    Als ich einmal an einem Nachmittag am Wochenende wahllos durch das spanische Fernsehprogramm zappe, werde ich plötzlich stutzig: Sind das nicht deutsche Schauspieler da auf dem Bildschirm? Heißt das etwa, dass ich mir gute deutsche Filme im.. Blog weiterlesen

  • 16.10.2017 [Kommentare: 0]

    Pendeln im Fernzug

    Es ist 06:42 Uhr und der Fernzug AVANT setzt seine Fahrt in Richtung Madrid nach einem kurzen Aufenthalt in Ciudad Real fort. Er ist fast komplett ausgebucht, aber von Chaos bei der Sitzplatzsuche keine Spur. „Wie praktisch! Ich muss ja gar nicht um.. Blog weiterlesen