Nachtrag zur Europawahl

11.06.2009 - Stefanie Claudia Müller - scm communication 

Bezugnehmend auf einen Kommentar auf madridfuerdeutsche.com: Es ist wirklich schon etwas verwunderlich, wie in Spanien an so manchen Orten die Wahlen zum Europäischen Parlament abgehalten werden. Manche eingeschriebenen EU-Bürger bekommen eine Wahlbestätigung Wochen vorher, andere nicht. Viele wissen deswegen bis zum Ende gar nicht, dass sie überhaupt im Ausland wählen dürfen. Bei vier Millionen Ausländern mehr als schade.

Aber auch die Durchführung der Wahlen ist sehr fragwürdig. Zum Beispiel an meinem Ort, Ciudad de Santo Domingo bei Madrid. Die Dorfschule ist das Wahllokal, wo schon um 11 Uhr morgens sehr heitere Stimmung vorherrscht. Etwas befremdlich, dass die Wahlhelfer Werbung tragen für die konservative und sehr kirchennahe Regierungspartei der Gemeinde, Partido Popular (PP). Ebenfalls sehr bizarr, dass in einem demokratischen Land die Wahlzettel für jede Partei öffentlich und einzeln ausgelegt werden. Von geheimer Wahl kann nicht die Rede sein, wenn jeder seinen Wahlschein vor den Augen der vor der Urne wartenden Schlange vom Stapel nimmt.

Auf Nachfrage heißt es: „Na, Sie können sich ja alle Zettel nehmen und dann hinter dem Vorhang entscheiden, welches Papier Sie in den Umschlag stecken”, sagt einer der Helferinnen, eine dorfbekannte PP-Wählerin und zudem Teil der Gemeinderegierung. Ist das alles legal? Ich kann mir nicht vorstellen, dass das überall so abläuft. Ich hoffe, dass mein kleines Dorf eine Ausnahme ist, wie in so vielen Dingen.

Als ich mich ein wenig aufrege, über die offensichtliche Lässigkeit bei diesen Wahlen, lächelt einer meiner Nachbarn, der auch gerade vor der Urne wartet. „Weißt Du, hier ist es doch eh egal, alle wählen doch PP, da sind keine Geheimnisse notwendig.” Tatsächlich, egal ob hereinkommende junge Mädchen oder Väter, die meisten greifen nach dem Schein links in der Ecke, der PP-Stapel. Er wird immer dünner und ich greif aus Überzeugung und vor den Augen aller zu einem anderen Blatt in der rechten Ecke: der Partei für eine gerechtere Welt.

Leider hat sie nicht gewonnen. Sonst hätte sie vielleicht die politische Verbohrtheit und Unwissenheit einiger Spanier, was offensichtlich zu undemokratischen Verhalten führt, abschaffen können. Das würde dann vielleicht auch helfen, dass das De facto-Zweiparteien-System in diesem Land ein Ende findet und in jeder Hinsicht Pluralität einzieht ... und das Wahlgeheimnis.

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