Spaniens Problem mit der Erinnerung

24.07.2007 - Stefanie Müller - scm-communication 

Spanien hat ein Gesetz zur Aufarbeitung der Geschichte - la memoria historica. Eine sehr kuriose Geschichte aus deutscher Sicht. Einige Spanier sind nämlich nicht nur im Alltagsleben bei Terminen und Pflichten vergesslich, sondern auch was ihre Geschichte betrifft, vor allem bezüglich der wenig glorreichen Zeit des 20. Jahrhunderts.Schuld daran, dass in den Familien so wenig über damals gesprochen wird, haben vor allem die politischen Parteien, egal welcher Coleur. Sie wollten nach der Diktatur das heiße Thema Bürgerkrieg und Franco-Zeit nicht öffentlich diskutieren, um keine alten Wunden aufzureißen und die beispielhaft eingeführte erst einmal Demokratie reifen lassen. In den ersten Jahren war das richtig, aber dann ist zuviel Zeit vergangenen, ohne über Bürgerkrieg und Franco zu diskutieren. Die Geschichtsbücher vieler Schulen übersprangen diesen Zeitraum einfach. Nicht nur die spanische Jugend, auch die heute 40jährigen wissen deswegen erschreckend über ihre eigene unmittelbare Vergangenheit.Sie waren zu jung, um die harte Hand des Diktators zu spüren und damit auch die seit 1978 wirkende Demokratie wirklich wert zu schätzen. Manche glauben immer noch, auch damals hätte es freie Wahlen und Meinungsfreiheit gegeben. Das liegt auch daran, dass das Franco-Regime nicht verurteilt wurde, nur sehr wenige aus der Zeit ins Gefängnis gewandert sind.Premier José Luis Rodríguez Zapatero hat das von Anfang an gestört. Der Sozialist hatte bei seinem Amtsantritt 2004 einen Masterplan, um die spanische Gesellschaft verantwortlich zu machen für die eigene Geschichte, daraus zu lernen und damit auch endültig die seit Jahrhunderten bestehenden alten Gräben zu überwinden. Die Massenmorde an Kommunisten, Priester und Homosexuelle, die eingeschränkten Freiheiten, öffentlichen Hinrichtungen müssen seiner Meinung erneut diskutiert und endgültig verurteilt werden.Allerdings ist es fraglich, ob man die Erinnerung nach so vielen Jahrzehnten des Schweigens per Gesetz auffrischen kann. Ein Teil der Bevölkerung, vor allem solche in den rechten Lagern, von denen einige immer noch der Zeit unter dem Caudillo nachtrauern, empfinden diese Initiative als einen Racheakt der Linken gegen solche Politiker aus der „alten Zeit“ bzw. Söhne von ehemaligen Handlangern Francos. Aber Gesetz hin oder her, man kann Spanien grundsätzlich nur gratulieren, dass es sich endlich mit seiner Geschichte auseinandersetzt und versucht, aus den Fehlern zu lernen - auch wenn es dabei derzeit zu harten Konfrontationen kommt. Vielleicht entsteht daraus ja vielleicht endlich eine neue liberale Partei der Mitte, die dieses Land der Gegensätze bitter nötig hat.

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