Spanische Medien und Frauenmissbrauch

17.02.2008 - Stefanie Claudia Müller - scm-communication 

Geht Ihnen das vielleicht auch so? Sie haben den Eindruck, dass in diesem Land ein unglaubliches Gewaltpotenzial steckt. Sie schauen sich abends die spanischen Nachrichten an und es vergeht fast kein Tag, wo nicht irgendeine Frau Opfer von männlicher Gewalt geworden ist. Meist sehr detailliert wird der Tathergang beschrieben, letzte Einstellung ist oft die Blutspur der Schandtat. Am nächsten Tag steht das Verbrechen in allen Zeitungen. Im Radio überall spricht man darüber.

Eigentlich verständlich, über jedes andere Gewaltverbrechen würde man auch ausgiebig sprechen. Aber in diesem Fall wird das Bild verzerrt. Es scheint, dass spanische Männer gewaltvoller sind als anderswo, dass es hier mehr Fälle von häuslicher Gewalt gibt als anderswo.  Aber die spanischen Medien verfälschen nicht nur das Bild, was wir bereits auf unserem Portal berichtet haben, http://barcelonafuerdeutsche.com/index.php?seccion=&newsid=68, sie geben den potenziellen Tätern ungewollt auch noch Ideen wie und wann er am besten zuschlägt. Grundsätzlich ist es sicher gut, auf diesen Missstand hinzuweisen. Aber härten wir nicht ab durch das ständige Medienspektakel um Frauenmissbrauch? 
 
Diese schrecklichen Taten - übrigens bringen in Spanien auch Frauen Männer um, wenn auch weniger – verdecken andere genauso schlimme Zustände in diesem Land, wie zum Beispiel die weitverbreitete Magersucht unter jungen Spanierinnen, der hohe Drogenkonsum in Städten wie Madrid, Kindesmissbrauch und den teilweise grausamen Umgang mit Tieren (siehe auch hier: http://barcelonafuerdeutsche.com/?seccion=blog&accion=menu&blogpostsid=0&actual=7).  

Wenn die spanischen Medien, die Öffentlichkeit und die Regierung wirklich etwas ändern wollen an der häuslichen Gewalt in ihrem Land, sollten sie sich grundsätzlich mehr für Frauen engagieren, ihnen mehr Platz in der Zeitung zugestehen, Preise für sie ausschreiben, sie beruflich fördern etc.. Die Erziehung müßte anders orientiert werden. Rasende Eifersucht sollte nicht mehr als Kavaliersdelikt abgetan werden, Familien sollten sich einmischen, Freunde in Partnerschaften eingreifen, die von Gewalt bestimmt sind. Hier schauen viele einfach weg, selbst wenn es um Probleme in der eigenen Familie geht. 

Ein grundsätzliches Problem ist doch die wirtschaftliche Abhängigkeit der spanischen Frau. Würde sie mit ihrem eigenen Gehalt genug verdienen, um sich oder eine Familie zu ernähren, dann würde sie bei Missbrauch gehen. Derzeit ist es jedoch so, dass viele Frauen jahrelang in diesen gefängnisartigen Beziehungen verharren, weil sie von ihren Eltern nicht gelernt haben, nein zusagen, sich zu wehren, weil sie kein Selbstbewusstsein haben, weil sie keine Unterstützung von ihren Freunden, ihrer Familie erfahren und weil sie eine falsche Vorstellung von Liebe haben. 

Und die Männer... Sie sollten gesellschaftlich geächtet werden für ihr besitzergreifendes Verhalten, für jegliche Art von Terror und Unterdrückung ihrer Partnerin. Aber diesen Männern muss auch geholfen werden. Spanien hat einen wunderschönen Film gemacht darüber, wie qualvoll diese Gewaltbeziehungen für die Täter sind, dass sie auch Opfer sind: Te doy mis ojos von der Regisseurin Iciar Bollain zeigt, dass sie keine anderen Reaktionen gelernt haben, ihre Gefühle nicht unter Kontrolle haben, sie verzweifeln an sich selbst. Der Film zeigt aber auch, dass Gewalt in Familien uns alle angeht. Die Frage muss immer sein: „Wie konnte es überhaupt so weit kommen?“ Gerade in Spanien sollte man mehr hinschauen, nicht so sehr auf die Medienberichte, sondern darauf, was beim Nachbarn und in der eigenen Familie passiert. Deckt man Mißstände auf, sollte man den Mut haben, einzugreifen.

Kommentare (0) :

Blog kommentieren
Blog-Archiv
  • 09.11.2020 [Kommentare: 2]

    Corona-Bombe

    „Kannst du Emma heute von der Schule abholen?”, erreichte mich unerwartet eine Nachricht von Emmas Vater Hugo, als ich erst gefühlte fünf Minuten im Büro war und noch nicht einmal ansatzweise ein Viertel meiner täglichen Festivalarbeit erledigt hatte.. Blog weiterlesen

  • 05.10.2020 [Kommentare: 0]

    Klassengesellschaft

    Neulich saßen wir mit unserem diesjährigen Festivalteam, das aus Luis, mir und drei Praktikanten besteht, in der Pause wieder in unserem Stammcafé in Alcalá, San Diego Coffee Corner, ein modernes Lokal an einer der Ecken der zentralen Plaza de los Ir.. Blog weiterlesen

  • 03.06.2020 [Kommentare: 0]

    Die Suche nach den Schuldigen

    Jetzt weiß ich, wieso ich während der Quarantäne nach Jahren endlich wieder gut und fest schlafen konnte, der Geräuschpegel war zehn Wochen lang deutlich niedriger. Am ersten Freitag in Phase 1 war wieder einiges los auf den Straßen Montecarmelos... Blog weiterlesen

  • 26.04.2019 [Kommentare: 0]

    Spanien bringt mich in Versuchung

    Schon seit fast einem Jahr bin ich zur vegetarischen Ernährung übergegangen, aus ethischen und ökologischen Gründen. Das heißt, ich versuche es zumindest. Mir war schon bewusst, dass es in Spanien etwas schwieriger werden würde – aber, dass ich so.. Blog weiterlesen

  • 04.02.2019 [Kommentare: 0]

    Die Chinos – eine Welt für sich

    Als ich neulich mit einer Freundin von Zuhause telefonierte, erwähnte ich beiläufig den Chino in meiner Straße. “Chino?” fragte sie. Ach ja – die Chinos haben wir ja in Deutschland gar nicht. Doch wie beschreibt man dieses “Phänomen” am besten? Die.. Blog weiterlesen

  • 14.01.2019 [Kommentare: 0]

    Es ist nie zu spät!

    Immer wieder die gleiche Diskussion: “¡A las 7 de la tarde no se cena!” – Um sieben Uhr nachmittags isst man noch kein Abendessen! “Ich hab aber jetzt schon Hunger!” “¡Es porque has comido hace horas!” - Du hast ja auch schon vor ‘ner Ewigkeit .. Blog weiterlesen

  • 08.08.2018 [Kommentare: 0]

    Im deutschen Exil – ganz scharf

    Manchmal lebt unsere Familie ja das deutsch-spanische Kauderwelsch. In sämtlichen Belangen. Sei es, dass der Nachwuchs sprachlich spanische Dörfer für mich auffährt: Papa, kannst Du mir endlich die Kuchenfarben bringen?? Was, wie?! [Papa sucht.. Blog weiterlesen

  • 04.07.2018 [Kommentare: 0]

    Von der WM zur Ahnenforschung

    Nach dem Ausscheiden der deutschen und nun der spanischen Nationalmannschaft wird es natürlich für unsere deutsch-spanische Familie ganz schwierig mit dem Weiterfiebern. Doch die Jungs halten ganz gut mit. Zu EM 2016-Zeiten nach dem Aus der Deutschen.. Blog weiterlesen

  • 27.11.2017 [Kommentare: 0]

    Rosamunde Pilcher im spanischen Fernsehen

    Als ich einmal an einem Nachmittag am Wochenende wahllos durch das spanische Fernsehprogramm zappe, werde ich plötzlich stutzig: Sind das nicht deutsche Schauspieler da auf dem Bildschirm? Heißt das etwa, dass ich mir gute deutsche Filme im.. Blog weiterlesen

  • 16.10.2017 [Kommentare: 0]

    Pendeln im Fernzug

    Es ist 06:42 Uhr und der Fernzug AVANT setzt seine Fahrt in Richtung Madrid nach einem kurzen Aufenthalt in Ciudad Real fort. Er ist fast komplett ausgebucht, aber von Chaos bei der Sitzplatzsuche keine Spur. „Wie praktisch! Ich muss ja gar nicht um.. Blog weiterlesen