Verabreden in Spanien

06.01.2009 - Stefanie Claudia Müller - scm-communication 

Sich in Spanien mit jemanden zu verabreden, ist nicht so einfach. Das gilt für die berufliche wie auch für die private Ebene. Man muss sehr viieeeeel Geduld und Einfühlungsvermögen mitbringen. Geht es um geschäftliche Dinge, muss man erst einmal ein paar emails hin und her schicken, bevor man überhaupt ein Telefongespräch mit der entsprechenden Person bekommt. Findet der Kontakt mit dieser Person nur übers Telefon und nicht direkt statt und man kennt sich nicht, ist es sehr unwahrscheinlich, dass es zu dem gewünschten Treffen kommt.

Denn die Spanier wollen vorher wissen, mit wem sie es zu tun haben, bevor sie Geschäftliches besprechen und das am liebsten von Gesicht zu Gesicht. Ein truco, um schneller zum Ziel zu kommen: Finden Sie heraus, in welcher Bar/Café derjenige, den Sie treffen wollen, normalerweise frühstückt - die Spanier machen ja meist zwischen 11 und 12 Uhr Frühstückspause, meist in der Bar neben ihrer Arbeit. Dann taucht man dort einfach unauffällig auf, stellt sich neben ihn oder sie an den Tresen und fängt, falls es ein Mann ist, am besten ein Gespräch über Fußball an. Bei Frauen bieten sich die Kinder an oder Schule. Auch das Wetter funktioniert immer. Aber locker muss der Anfang sein, danach kann man ein Treffen zum Mittagessen organisieren und dann kann man zur eigentlichen Sache kommen.

Ebenfalls gute Anknüpfungspunkte für einen ersten persönlichen Kontakt mit einem möglichen Geschäftspartner sind öffentliche Vorträge der persona en cuestión. Einfach dort hingehen, nach der Rede die Person abfangen und die Business-Karte abgeben, noch besser: die vom Gegenüber einstecken, damit man selbst die Initiative ergreifen kann. Diese etwas komplizierte Prozedur kann man nur abkürzen, wenn einen eine dritte Person bei dem Betreffenden empfiehlt.

Networking ist einfach alles in Spanien. Persönliche Kontakte sind im spanischen Geschäftsalltag wesentlich wichtiger als anderswo. Was in Deutschland als unseriös gilt, zum Beispiel mit einem Fremden über die Familie zu reden, wird hier als erster Vertrauensbeweis gewertet. Und hat der Spanier einmal Vertrauen gefasst, ist man schnell ein amigo especial, man wird zu Firmenevents geladen und kann unkomplizierter als in Deutschland bei weiteren gemeinsamen Treffen, zum Beispiel im Restaurant, wichtige Verträge abschließen. Wo in Deutschland unterschriebenes Papier und viele meetings Vertrauen schaffen, sind es hier Mittagessen, gemeinsame Abende mit den Ehepartnern und vieeeeele Telefongespräche.

Reden und Socialising ist wichtig in Spanien, in allen Lebenslagen. Manchmal habe ich den Eindruck, dass die Spanier gar nicht alleine sein können, dass sie immer jemanden brauchen, der sie bequatscht. Selbst auf der Arbeit, wo sie zusammen frühstücken und essen gehen, wo sie in den Geschäften den Hörer am Ohr haben und gleichzeitig einen Kunden bedienen, brauchen sie scheinbar die Unterhaltung. Das würde auch erklären, warum sie einen überdurchschnittlichen Telefonkonsum haben, meist mehrere Handys besitzen, bei der unpersönlicheren Internetnutzung jedoch gegenüber Deutschland weit zurückliegen.

Auch im Privatleben zeigt sich der Spanier normalerweise als wenig fähig, irgendwo alleine hinzugehen. Leute, die das machen, gelten meist als "raro". Spanier treten deswegen meist im Pulk auf und das überall. Verabredungen zu zweit, "nur" zum Reden, sind hier nicht üblich, zumindest nicht abends. Auch Paare gehen meist mit anderen weg. Das Partner getrennt ausgehen, gehört zur Seltenheit. Das alles muss man als Ausländer erst lernen.

Genauso wie die Geduld, die man braucht, wenn man sich mit Spaniern bzw. Madrilenen verabredet. Bis man überhaupt mal ein Treffen mit jemanden ausgemacht hat, wird erst mal drei oder vier Mal hin und her telefoniert. Es wäre ja zu einfach, direkt zu sagen: „Wir sehen uns heute um 18 Uhr in der Bar x.“ Der Spanier will sich alle Optionen offen lassen, sich nicht festlegen und lässt sein Gegenüber deswegen fast bis zur einer Stunde vor dem Treffen im Unklaren, wo man sich denn nun wann überhaupt sieht. Außerdem macht das viele Telefonieren ja auch Spaß, zumindest den Spaniern. Meistens wird der Termin im Laufe des Abends immer weiter nach hinten verschoben. Vielleicht macht man sich damit auch wichtig, keine Ahnung, aber effizient ist es überhaupt nicht und in jedem Fall gewöhnungsbedürftig.

Aber das Hin und Her hat natürlich auch seinen Vorteil. Abende mit Spaniern können zum richtigen Happening werden. Man sitzt als Ausländer vielleicht "nur" zu zweit im Kino, wird dort mehrmals angesimst, ob man danach „irgendwo“ hinkommt, um sich mit ein „paar“ Leuten zu treffen. Nach dem Kino noch mal ein paar Telefongespräche, wo die anderen denn jetzt sind und man findet sich schließlich auf einmal in einer fremden Bar und mit fremden Menschen wieder.

Während man als Deutscher ohne vorherigen Alkoholgenuß normalerweise erst einmal peinlich in die Runde grinst, haben die Madrilenen keine Hemmungen. "Hija mia, guapa, venga, que quieres beber?", heißt es schnell. Schon nach zehn Minuten hat man das Gefühl, Pedro, Juan, Isabel, Maria, Ana und Pablo schon ewig zu kennen.

Danach geht es zum Tanzen und das können die Spanier ja fast alle und dann wird es richtig lustig. Denn jetzt werden copas, das heißt drinks, bestellt. Dann tauen meist auch die Ausländer auf. Hier muss man allerdings unbedingt beachten, dass die Spanier immer Runden schmeissen. Also bloß nicht mit "getrennt zahlen" ankommen, das könnte man als Beleidigung empfinden. Allerdings sollte man irgendwann auch mal eine Runde spendieren. Warnung: Weggehen mit Spaniern kann teuer werden, da man von Bar zu Bar zieht und sie sehr viel Alkohol vertragen können.

Aber wer sich einlässt auf das Abenteuer und nicht schon vorher wissen muss, wo einen der Abend überall hinführt, der ist in Madrid und unter redseligen Spaniern prima aufgehoben. Wohl nirgendwo auf der Welt ist das Angebot an Bars, Diskos, Restaurants und Cafés so groß, nirgendwo sieht man mitten in der Woche soviele Menschen auf der Straße, wohl nirgendwo anders sind die Kontakte so einfach.

Was mich immer noch am meisten beeindruckt an Spanien: Hier sind alle Altersklassen gemischt. Auch Mama und Papi wollen am Wochenende Spaß haben und machen sich auf ins Restaurant oder in die Disko, dabei laufen sie vielleicht auch ihren Kindern über den Weg - kein Problem. Ja, hier trifft man auch ältere Menschen auf der Tanzfläche, Alleinstehende versauern nicht zuhause, sondern amüsieren sich im Pulk mit Freunden. Und die Jungen haben dabei genauso viel Spaß, stören sich nicht an den älteren Herren, die versuchen, in der Disko mit jungen Mädchen zu flierten - das ist wohl einer der besten Seiten des Madrider Nachtlebens: Es ist alles möglich und niemand wird ausgeschlossen.

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