Von dem komischen Gefühl, Deutscher zu sein....

15.10.2008 - Stefanie Claudia Müller - scm-communication 

Vor ein paar Tagen musste ich an der eigenen Haut erleben, wie schwerwiegend die deutsche Vergangenheit immer noch ist, selbst in Spanien, wo ich bis jetzt immer positive Reaktionen erfahren habe, wenn ich gesagt habe, ich bin Deutsche. Aber Kinder erleben alles anders, auf der deutschen wie auch auf der spanischen Seite: Mein Sohn geht zu einer spanischen öffentlichen Grundschule. Vor wenigen Tagen musste er für den Spanischunterricht einen Lebenslauf schreiben. Er wollte partout nicht erwähnen, dass er in Deutschland geboren wurde. Ich war darüber traurig. Sein Grund: „Ein Mädchen aus meiner Klasse hat mal gesagt, als sie gehört hat, dass ich Deutscher bin, dass alle Deutschen Nazis sind.” 

Auf der einen Seite liebt er Deutschland für seine Medaillen bei der Olympiade, seine guten Produkte (deutsche Wurst und die guten Autos), aber das mit Hitler kann er nicht verstehen. Er schämt sich. Und manchmal habe ich selber Probleme, ihm zu erklären, wie so etwas Grausames wie der Holocaust möglich sein konnte. Ich bemühe mich sehr, dass er Filme über die Zeit anschaut und wir lesen “Als Hitler das rosa Kaninchen stahl.” Auch, weil ich mir denke, dass er noch öfters auf seine Nationalität und die deutsche Vergangenheit angesprochen wird. Wie fast alle Deutschen identifiziert er sich mit dieser Schuld und schämt sich, wenn andere ihn darauf aufmerksam machen, dass er auch “einer von denen ist.” Obwohl er ja eigentlich damit gar nichts zu tun hat, noch nicht einmal in Deutschland aufwächst. 

Aber Kinder in dem Alter mögen keine Unterschiede, sie wollen so sein wie die Gruppe. Ihm geht es genauso, er sieht derzeit noch überhaupt keinen Vorteil, neben Spanisch auch Deutsch zu sprechen. Zwar liebt er Weihnachten in Deutschland, Ferien in Deutschland, er liebt seine deutsche Familie, deutsches Fernsehen und trotzdem...fühlt er sich viel mehr spanisch, weil die meisten Kinder in seiner Klasse auch Spanier sind. Das war ein Grund, warum wir uns entschieden haben, dass er doch zur Deutschen Schule gehen muss. Nur dort wird man Verständnis haben für seine Ängste, seine zwei Seelen in seiner Brust, für seine Besonderheit. 

Er wird aber auch dort sicher noch viel auf die deutsche Vergangenheit angesprochen werden, denn 70 Prozent der Schüler sind Spanier und haben wenig mit Deutschland zu tun. Allerdings wohl eher in Form von Witzen. Er wird darüber wahrscheinlich nicht lachen können und das hat er mit vielen Deutschen gemein, auch wenn die Spanier das nicht verstehen und das oft so interpretieren, dass wir humorlos sind. Aber über die Vergasung der Juden kann man einfach nicht lachen. Ich habe das meinem Sohn so erklärt: Ich bin Deutscher und bin damit Teil der deutschen Geschichte, auch wenn ich nicht beim Holocaust dabei war, trage ich Verantwortung dafür, dass das nie wieder passiert und dann kann man über so etwas Schwerwiegendes einfach nicht lachen. Er hat das sofort verstanden, ausländische Freunde dagegen halten das für hypersensibel. Aber wir Deutschen funktionieren so und ich bin auf diese Vergangenheitsbewältigung und diesen Schwersinn sehr stolz.  Nur dank dieser Aufarbeitung haben wir es geschafft, innerhalb von 50 Jahren das Blatt total zu wenden und zu einer der besten Demokratien der Welt zu werden, die jetzt sogar von einer Frau geführt wird. 

Ich freue mich deswegen auf den Moment und bin sicher, dass er kommen wird, wenn mein Sohn nach Hause kommen und sagen wird: Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein. Und dass er keine Angst mehr hat, dass sich das dann rechtsradikal anhören könnte, sondern er meint, dass er stolz ist, was aus diesem einst so schrecklichen Land, durch einen Verrückten pervertiert, geworden ist. Und: Dass er stolz ist, dazuzugehören. 

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