Was ist soziale Politik?

21.06.2010 - Stefanie Claudia Müller - scm communication 

In diesen Tagen fragt man sich immer mehr, was es eigentlich bedeutet, linke Politik zu vertreten. Wenn man sich die spanische Regierung, immerhin Sozialdemokraten, anschaut, dann verliert man komplett die Orientierung. Statt bei den Spekulanten und Reichen, die mit Boom und Krise gewinnen, zu kürzen, werden beim Sparpaket Beamte und Familien zur Kasse gebeten.

In Deutschland regiert zwar die rechte CDU mit der rechten CSU und der rechts-liberalen FDP, aber auch in diesen Parteien gab es immer eine Sozialpolitik, wenn auch mit unterschiedlichen Ansätzen. Aber auch in Deutschland wird das Sparen vor allem den Schwachen auferlegt: Arbeitslose, Familien und Hartz 4-Empfänger. Es mag ja richtig sein, dass man auch dort mal kürzen muss, weil sich bestimmte Menschen zulange auf Staatskosten finanzieren.

Aber jetzt in einer Krise, die vor allem von Spekulanten auf den Finanzmärkten, in der Politik und den Unternehmen ausgelöst wurde, ist es nicht nur aus Image-Gründen unverständlich, dass vor allem die Menschen die Suppe auslöffeln müssen, die sich wahrscheinlich noch nicht einmal einen Billigflug nach Griechenland leisten können. Das Sparpaket der Deutschen und auch das der Spanier ist richtig, aber es sollte vor allem zu Lasten der hohen Gehälter und Vermögen gehen, weil genau die es sind, die derzeit Geschäfte mit der Krise machen. Der normale Mensch dagegen verliert seine Arbeit, seine Kunden, sein Haus. Er verzweifelt an seiner Situation.

In Spanien, einem Land, das bisher nahezu komplett auf staatliche Sozialhilfe verzichtet hat, zeigt nicht nur die Krise, dass "sozial" für sehr fragwürdige Konzepte steht. Denn auch die Auswahl an den öffentlich geförderten Schulen, an den sogenannten concertados, aber auch an den öffentlichen Schulen allgemein, ist mehr als zweifelhaft. Seit wann ist es sozial, ein Punktesystem zu etablieren, nach dem Schüler aufgenommen werden und dass das dann auch noch vor allem Kriterien berücksichtigt wie Krankheit, dann gibt es mehr Punkte, kommt das Kind aus armen Verhältnissen etc...

Ich bezweifele sehr, dass sich das öffentliche Bildungssystem in Spanien so verbessern wird. Wenn wir besser ausgebildete Menschen wollen, dann müssen nicht nur die Englisch-Lehrer so gut Englisch sprechen, dass sie keine Nachhilfe mehr aus den USA brauchen (der spanische Staat bezahlt junge Amerikaner, Engländer und Kanadier, wenn sie an öffentlichen spanischen Schulen den Kindern einen richtigen Akzent beibringen, da die heimischen Englisch-Lehrer das scheinbar nicht können). Wir müssen auch zulassen, dass an den Schulen nach Leistung und der Intelligenz und der emotionalen Kapazität des Kindes ausgewählt wird. Das kann man nicht mit Punkten abgrasen, sondern man muss sich die Mühe machen, mit den Kinder und Eltern zu sprechen.

An der spanischen Bildungspolitik zeigt sich wirklich, wie pervers linke Politik sein kann, wenn sie nicht richtig praktiziert wird. Es kann doch nicht sozial sein, eine Schule zu schaffen, wo zwar scheinbare “arme” Menschen unterrichtet werden, sie aber nichts lernen, weil sie überhaupt nicht den familiären und intellektuellen Background haben, um in einem bilingualen Zweig unterrichtet zu werden.

Was bringt eine zweisprachige öffentlich geförderte Schule, die hohe Leistungen von den Kindern abfordert, wenn gerade die Kinder, welche schon in diesem Umfeld aufwachsen, aus absurden Gründen abgewiesen werden, dagegen andere Kriterien, die leicht zu fälschen sind, wie Einkommen, relevant sind. Ich wohne in einer Gegend, wo es keine sozialschwachen Familien gibt und dennoch gilt beim neuen zweisprachigen concertado, dem Trinity College, das Einkommen als entscheidendes Kriterium bei der Aufnahme. Kinder, wo die Eltern schon englischsprachig sind, werden dagegen teilweise abgelehnt. Eigentlich sollte eine solche Schule doch froh sein, wenn sie möglichst viele Kinder mit zweisprachigem Hintergrund in ihren Klassen haben, da diese meist talentierter beim Spracherwerb sind. Die Mitschüler können doch von native speakers nur lernen.

Die öffentlichen Schulen werden in Spanien immer schlechter, weil genau keine Leistungsauswahl getroffen wird. Die guten Schulen sind privat, meist in ausländischer Hand und dort können nur die hingehen, welche das Geld dazu haben oder die Kontakte. Ich bin mir im Klaren, dass Kinder aus sozialschwachen Familien oft nicht gefördert werden von ihren Eltern und deswegen vielleicht nicht so gute Noten vorweisen können, aber dann muss man vielleicht mal schauen, was genau Intelligenz ausmacht. Vielleicht ist das auch Neugier, Ehrgeiz, soziales Verhalten und Lernfreude und diese Dinge kann man in einem Gespräch spüren. Man muss sich nur die Mühe geben, sich Eltern und Kinder genau anzuschauen, dann kann man viel besser und sozialer selektieren und später auch jedes einzelne Kind fördern als das derzeit bei den Schulen hier geschieht.

Natürlich will ich nicht verschweigen, dass auch die Auswahl der Deutschen Schule in Madrid schon zu vielen Polemiken geführt hat und dass nicht nur an spanischen Schulen bei der Aufnahme von Schülern einiges falsch läuft. Aber ich möchte mit diesem Blog keine einzelne Schule anprangern, sondern einfach nur eine Debatte anregen, über was wir heute eigentlich unter sozial verstehen und ob wir uns nicht, sicherlich in vielen Fällen ungewollt, immer unsozialer verhalten.

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