ERFAHRUNGSBERICHT: Studieren in Spanien verlangt viel Eigeninitiative

22.07.2007 - Carolin Sanz Noriega 

Vorurteile gegenüber Erasmusstudenten gibt es sicherlich viele. Spätestens seit dem Film "Auberge Espagnole" gilt der von der EU geförderte Auslandsaufenthalt eher als subventioniertes Sabbat- oder sogar Faulenzjahr, als Auszeit, in der mehr die Feierkultur des jeweiligen Landes studiert wird als alles andere. Meiner Vorstellung von Erasmusstudium entsprach das nicht, als ich mich vor einem Jahr nach Madrid aufmachte. Für mich gab es sowohl fachliche als auch persönliche Gründe, eine Zeit lang in Spanien zu leben: Ich wollte vor allem meine Sprachkenntnisse verbessern, das spanische Universitätssystem kennenlernen und nicht zuletzt meinen spanischen Wurzeln nachspüren. Spanien kenne ich und Spanisch spreche ich auch, beste Voraussetzungen für einen guten Start in der neuen Heimat... Aber ganz so einfach gestaltete sich mein Erasmusaufenthalt dann doch nicht. Wer wie ich vom Berliner Wohnungsmarkt verwöhnt ist, der sollte sich sicher vorher klar machen, dass er sich ein derartig luxuriöses Studentenleben wie in Berlin in Madrid nicht leisten kann. Im Gegenteil: WG-Zimmer, die übrigens auch nicht so zahlreich sind wie in deutschen Städten, sind meist sehr klein, oft dunkel oder gar ohne Fenster, recht spartanisch ausgestattet und trotzdem teuer. Die Mietpreise für solche Zimmer rangieren zwischen 300 und 500 Euro, je nachdem in welchem barrio (Viertel) man wohnen möchte und welche Leistungen sonst noch in der Miete enthalten sind. Gefasst machen sollte man sich auch darauf, dass spanische Wohnhäuser oft nicht besonders gut isoliert. Über die Geräuschübertragung im patio (Innenhof) lernt man seine Nachbarn - meist unfreiwillig, jedoch dafür umso schneller - kennen. Es stimmt schon ein bisschen, was in den Anfangsszenen von Auberge Espagnole suggeriert wird: die Erasmusadministration scheint manchmal etwas undurchschaubar. Das fängt bei der Bewerbung für den ERASMUS-Studienplatz an der Heimatuniversität an und geht an der Gastuniversität weiter. Immerhin: um die zig Formulare auszufüllen, muss man sich schon mal durch die Internetseiten der neuen Uni klicken und ist so gewissermaßen gezwungen, sich schon lange vor dem Aufenthalt mit dem neuen Studiendomizil und dessen Angebot zu beschäftigen. Eine tolle Hilfestellung zur Orientierung und Gewöhnung an die neue Studienumgebung bieten die von einigen Gastuniversitäten angebotenen Sprachkurse für ERASMUS-Studenten, in denen neben grammatischen auch wertvolle Kulturtipps gegeben werden. Nicht zuletzt sind die Kurse sicherlich auch eine gute Anlaufstelle, um erste Kontakte zu knüpfen. Spanische Studienordnungen sind sehr strikt geregelt und die Vorlesungsverzeichnisse variieren deswegen - was deutschen Studenten seltsam erscheinen mag - wenig oder gar nicht. Leider führt das in der Praxis dazu, dass die Veranstaltungen ziemlich routinemäßig abgehalten, ja manchmal geradezu runtergeleiert werden, was schon für die spanischen Kursteilnehmer recht ermüdend ist. Für jemanden, dessen Muttersprache nicht Spanisch ist, ist es deshalb umso schwerer, Konzentration und Aufmerksamkeit aufrecht zu erhalten. Seltenheitswert haben auch strukturierte Themenpläne oder Kursmaterialien, die es dem nichtspanischen Zuhörer erleichtern könnten, den Stoff zu verfolgen. Da auf aktive Beteiligung der Studenten weniger Wert gelegt wird und Referate und Hausarbeiten nicht üblich sind, ist es sicher ratsam, mit der Heimuniversität ganz genau abzusprechen, welche Leistungen erbracht werden müssen, damit sie zu Hause angerechnet werden können. Den Dozenten an der Gastuniversität sollte man dann frühzeitig fragen, ob er bereit ist, zusätzliche Arbeiten abseits der allgemeinen Kursabschlussklausur zu korrigieren. Viel Eigeninitiative ist also gefragt. Sobald sich das spanische Semester dem Ende nähert, stehen die Studenten an den Kopierern Schlange, um ihre Aufzeichnungen (apuntes) zu vervielfältigen und auszutauschen. Die Bibliotheken erfreuen sich plötzlich einer außergewöhnlichen Beliebtheit. Wer sich gar zu den Sonderöffnungszeiten am Wochenende in die Unibibliothek wagt, der muss früh aufstehen und damit rechnen, erst einmal in der Schlange auf einen Sitzplatz zu warten. Ausweichmöglichkeiten bestehen zwar, jedoch nur wenige Bibliotheken öffnen am Wochenende. Gute Alternativen sind die Bibliothek der casa encendida und die biblioteca nacional, allerdings kann einem bei letzterer durch die komplizierte Administration und diverse Reglementierungen schon mal die Motivation vergehen. Studieren ist aber eben doch nicht alles, was einem so einfallen kann im trubeligen und lebenslustigen Madrid. Und wenn man diese Stadt richtig kennen lernen will, dann muss man die Ausgehkultur erleben, sei es in schicken, modischen Szenebars oder in den typischen, neonberöhrten und nach allerlei frittierten Köstlichkeiten duftenden Lokalen. Auch wenn in einem völlig anderen Kontext geäußert: Madrid scheint manchmal wirklich eine ciudad sin noche (nach Pablo Neruda, Madrid 1937) zu sein. Neben den verschiedensten Ausgehmöglichkeiten bietet Madrid für Studenten ein buntes Kultur- und Freizeitangebot, auch für den oft klammen studentischen Geldbeutel. Während man in Museen oft mit dem Studentenausweis Vergünstigungen bekommt, braucht man für Rabatte in Theater, Kino und Schwimmbädern ein carnet joven (Bonuskarte für unter 26-jährige), welches man gegen eine geringe Gebühr in vielen Ämtern der Stadt bekommt. Fazit: Studieren in Madrid ist nichts für jemanden, der an die Hand genommen werden will. Es erfordert viel Eigenengagement, Gelassenheit und gelegentlich ein bisschen Improvisationskunst - Züge, die auch sonst helfen, die südländische Vitalität richtig zu genießen.

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