HINTERGRUND: Valencia macht Schule

31.05.2007 - Stefanie Müller 

Hildegard Bigalske hat sich einen Oberschenkelhalsbruch zugezogen. Zum ersten Mal in den 23 Jahren, die sie in Spanien lebt, muss sie ins Krankenhaus. Die 69jährige wird in ihrer Wahlheimat Dénia, in der Nähe von Valencia, in eine öffentliche Klinik eingewiesen. Bei der Erinnerung daran bricht die Dortmunderin in Tränen aus: Die behandeln einen hier wie Schlachtvieh. Der Platz in dem Zweibettzimmer ist eingeschränkt. Auf den Gängen stehen Betten, Abfallkübel und Diagnostikgeräte rum.Das Krankenhaus von Dénía ist wie viele in Spanien äußerst schlecht gebaut und personell unterbesetzt. Das soll sich jedoch jetzt ändern. Die nationale Gesetzgebung gibt den 17 autonomen Regionen seit zwei Jahren die Möglichkeit, die Gesundheitsversorgung weitgehend selber zu organisieren. Die spanische Region Valencia hat den innovativsten Anfang gemacht. Sie ist hoch verschuldet und hat sich deswegen für die Kopfpauschale und die stückweise Privatisierung des städtischen Gesundheitssystems via Privat Public Partnership entschieden. Angefangen hat sie an der stark von ausländischen Residenten bewohnten Costa Blanca.Da es in Spanien kein Kassensystem gibt, öffentliche Ärzte nicht einzeln niedergelassen sind, sondern in Gesundheitszentren praktizieren, eine Pflichtversicherung für alle besteht und die Ausgaben aus den Steuereinnahmen finanziert werden, sind Radikalreformen wie das Public Private Partnership mit Kopfpauschale oder technologische Neuerungen wie die elektronische Gesundheitskarte einfacher als in Deutschland. Für Unternehmen wie die Deutsche Krankenversicherung (DKV) ist das Land wie eine innovative Spielwiese.Die DKV gehört zu den drei privaten Versicherungsgesellschaften, die bisher bei dem valencianischen Modell mitmachen. Sie wird in Dénía, wo neben Hildegard Bigalske noch rund 40 000 weitere Deutsche wohnen, ab 2008 die gesamte öffentliche Gesundheitsversorgung übernehmen. Als Auflage für die 15jährige Konzession muss die DKV das alte städtische Krankenhaus, wo Hildegard Bigalske liegt, bis 2008 renovieren und ein paar Kilometer weiter außerhalb der Stadt ein neues bauen. Dieses soll komplett mit den Hausärzten und öffentlichen Gesundheitszentren vernetzt sein. Die Krankenakte soll komplett elektronisiert und für den Patienten jeder Zeit einsehbar sein. Gerade weil an diesem Küstenabschnitt so viele Deutsche wohnen und Urlaub machen, hat das Pionierprojekt einen besonderen Prestigewert für die DKV. Für das ambitiöse Abenteuer gründete sie das Konsortium Marina Salud, an dem sie zu 64 Prozent und die valenzianischen Sparkassen Bancaja und CAM zu 36 Prozent beteiligt sind. Für ihre Arbeit bekommt das Joint Venture von der Regionalregierung jährlich rund 600 Euro für jeden der 190 000 in Dénia gemeldeten Einwohner, eine sogenannte Kopfpauschale. Nicht darin enthalten sind Kosten für die ambulante Medikamentenversorgung und seltenere kostenaufwendige Behandlungen wie Chemotherapie oder Nierenwäsche.Allerdings haben in Spanien auch alle Zugang zur medizinischen Grundversorgung, das gilt auch für nicht gemeldete Immigranten. Die Kopfpauschale in Valencia richtet sich nach Durchschnittswerten. Untersuchungen zeigen, dass pro Einwohner rund 700 Euro pro Jahr für medizinische Leistungen ausgegeben werden. Zwar ist das wesentlich weniger als in Deutschland, aber dennoch ist die Pauschale knapp kalkuliert und zwingt uns, alles zu tun, damit bloß niemand in der Gemeinde erkrankt, sagt Wolfgang Reuter, verantwortlich für das DKV-Projekt in Spanien. Die jährlichen Einnahmen aus der Kopfpauschale werden für Marina Salud rund 114 Millionen Euro betragen, 100 Millionen Euro wird jedoch am Anfang schon der Bau des neuen und der Umbau des alten Krankenhauses kosten.Die laufenden Kosten schätzt der Marina-Salud-Partner Bancaja auf jährlich rund 90 Millionen Euro. Da bleibt nicht viel übrig, glaubt Pablo Gallart Gaspart von Bancaja. Die ersten Jahre werden schwierig werden. Allerdings kalkuliert er, dass die Bevölkerung an der Costa Blanca weiter wie bisher um die fünf Prozent im Jahr wächst. Da ist ein Einnahmeanstieg zumindest garantiert, sagt Gallart Gaspart. Damit die Rechnung jedoch wirklich aufgeht, muss Marina Salud die Gesundheitsversorgung in Dénia wesentlich effizienter managen als das bisher geschehen ist. An der Spitze der Krankenhausorganisation werden deswegen nicht mehr wie bisher Ärzte stehen, sondern Manager, genauso wie in der 30 Kilometer von Dénía entfernten Gemeinde Alzira, wo bereits vor drei Jahren das Gesundheitssystem in die Hände einer spanischen privaten Versicherungsgesellschaft gegeben wurde.Geschäftsführer ist dort Alberto de Rosa Torner, ein gelernter Betriebswirt. Die Ergebnisse seiner Arbeit haben die DKV inspiriert. Er konnte durch leistungsgerechte Zahlung die Ausfallrate des Personals enorm drücken und durch die technologische Vernetzung von Prozessen die Kosten für die Gesundheitsversorgung um 25 Prozent senken. Handgeschriebene Rezepte oder Krankheitsgeschichten auf Papier sollen auch in Dénia der Vergangenheit angehören. Arzttermine sollen übers Internet gemacht werden und alle Befunde in einer Patientenakte zentralisiert werden, doppelte Untersuchungen damit vermieden werden.Aus den spanischen Beamten des alten Kreiskrankenhaus in Dénía werden ab 2008 Angestellte mit etwas niedrigeren Festgehältern, mehr Leistungsanreizen, aber ohne die Sicherheit eines Arbeitsplatz auf Lebenszeit. Wer will kann auch am Beamtenstatus festhalten. Der muss dann aber auch auf Prämien und flexiblere Arbeitszeiten verzichten. Die 103 Fach- und Allgemeinärzte des alten städtische Krankenhause zaudern noch ein wenig, schauen dem Projekt doch insgesamt mit Zuversicht entgegen: Wir haben natürlich noch Zweifel, wie unser Vertrag mit Marina Salud mal aussehen wird, aber die neuen Ansätze der DKV scheinen uns sehr interessant, sagt Eduardo de la Morena Valenzuela, Arzt im alten Kreiskrankenhaus. Er freut sich jedoch, dass er bei diesem Pionierprojekt mitmachen kann. Denn schon über Landesgrenzen hinaus spricht man vom valencianischen Modell.Hildegard Bigalske interessiert das wenig. Sie soll heute entlassen werden und das obwohl mir so schwindlig ist und mir noch alles weh tut. Das können die doch nicht machen. Sie könne nur hoffen, so schnell nicht mehr krank zu werden. Motzende Patienten wie Bigalske kennt Krankhaus-Chef Ignacio López Benito zu genüge. Der Arzt ist gezeichnet von dem jahrelangen Missmanagement, fehlenden finanziellen Mitteln und den lauten Klagen der Patienten. Das Ambiente in seinem Krankenhaus ist so traurig, dass er sein Büro auf der Kinderstation eingerichtet hat: Hier gibt es meist nur freudige Ereignisse. Er kann es kaum erwarten, bis die DKV endlich die erhoffte Wende in Dénia bringt.

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