HINTERGRUND: Barcelona Gourmet City an der Paral•lel: ‘Bulli-Parade’
07.01.2014 - (Fizzz - Meininger Verlag)10/2013) / Rafa Heberling ( Barcelona für Deutsche
Schuh zum Abendessen: der neue Trend?
Bei den Brüdern Ferran und Albert Adria, den Erfindern der Molekülarküche, muss mit allem gerechnet werden.
Die Schließung der legendären El Bulli Lokals nach 25 Jahren damals, idyllisch gelegen und eher von See aus als vom Land her zu erreichen, schlug regelrechte Wellen in der Welt der Gastronomie. Doch dann der Trost: vor 2 Jahren, die restlichen Vorbestellungen im Bulli wurden noch „abgearbeitet“, da wurde bereits das „Tickets“ und das „41°“ in Barcelona eröffnet.
Als Rückkehr zur „einfachen“ Tapas-Bar für die Nachbarn des Viertels konzipiert, liess sich die Entwicklung aber nicht aufhalten: kaum war klar, wer hier am Herd das Sagen hat, da stürzten sich förmlich die Gourmets aus aller Welt auf das neue Lokal, sodass man eine Internet-Anmeldung mit 3 Monaten Vorlauf und eine Einlasskontrolle einführen musste.
Heute, 2 Jahre nach der Eröffnung, stellen sich beide Lokale komplett neu dar.
Das 41° sollte eigentlich die Cocktailbar des Viertels werden, unabhängig von den Tapas, die nebenan im Tickets verabreicht wurden. Inzwischen hat man hier allein in diesem Jahr knapp 300 neue Rezepte entwickelt. Hier muss der Gast schon mit 50 Euro die Reservierung per internet vorbezahlen und mit gut 265,- Euro pro Person für das Menü und Getränke kalkulieren. Dafür gibt es dann z.B. „Sisal-Schuhe mit Reis“.
Im Ernst: die Karte ist mit Witz gestaltet und macht neugierig: Wermut „Bourlesque“, „Himbeeren mit Wasabi“ oder „regionale Einlagensuppe mit weißem Trüffel“ machen vom Titel her zwar neugierig, aber „katalanischer Trachtenschuh aus Algen mit Quinoa (Inkareis)“? „Fallobst-Orangen“, da klingt ja „Feta-Käse mit Tomaten“ schon wieder vertrauenserweckend. Àmbar vom Agaven-Honig mit Tequila und Limetten oder Maismehl-Ravioli mit Limetten und Chipotle veraten schon, wo die geschmacklichen Tendenzen Schwerpunkte der Brüder liegen. Banh Mi Sandwich schaut nach Vietnam, und die „Tacos nach Art des Don Pedro und Atahualpa“ stammen schon aus der Feder der „Pakta“ Talente.
Erweiterungsbedarf ergab sich, wie Albert Adria mir bei unserem Treffen erklärt. Doch schnell kristallisierte sich wieder ein eigenständiges Konzept. Ursprünglich als Zweigstelle des Tickets gedacht, eröffnete man ein peruanisch-japanisches Restaurant in der C/ Lleida. Nur ein paar Schritte vom Tickets entfernt. Die beiden jungen Köche sind quasi qua Geburt das, was man hier schmecken kann: Kyoko Li, aus Japan und Jorge Muñoz, Halb-Peruaner. kombinieren hier die farbenfrohen Mischungen der japanischen Techniken und Produkte mit den Inka-Genüssen.Etwas, das es so noch nicht gibt und den Gaumen wirklich überrascht.
„Ursprünglich wollten wir ein mexikanisches Restaurant eröffnen. Nie hätte ich daran gedacht, dass wir zuerst den Nikkei-Peru-Mix eröffnen.“ - „Ich bin ständig auf der Suche nach neuen Geschmacks-Erlebnissen“, bekennt Albert Adria, „eigentlich arbeite ich weniger des Geldes wegen, als darum, noch nie dagewesene Geschmackserlebnisse zu finden“.
„Das „Cafe 1900“ (sehr frei übersetzt: orig. Bodega 1900) ist ein wenig das, was wir mal mit dem Tickets vorhatten“, fährt Albert fort, „ein Teil wird Restaurant mit Reservierung etc und ein Teil ein Bar-Betrieb, wie früher, wo es den kühlen Wermut zu Boquerones al vinagre (Sardellenfilets in Essig mariniert) und Oliven gibt. Hier kann man dann auch auf einen Schluck ohne Voranmeldung vorbei kommen.“
Nun, man darf gespannt sein: denn wir betreten in der Carrer de Tamarit 91, genau an der Ecke gegenüber einen schmalen Korridor, reine Baustelle, überall noch Zement und kahle Wände, ein älterer „Pützer“, wie man in Köln so sagt, klettert die Leiter mit der Arbeitslampe herunter.
„Das wird in 2 Wochen eröffnet“, verkündet Herr Adriá stolz.Ich schaue ihn ungläubig an. „Diesmal war ich selbst der Innenarchitekt. Alles soll im Stil der Jahrundertwende um 1900 gestaltet werden. sogar die Kleidung des Personals. Es kommt eine Bar hier wie ein provencalisches Buffet mit Marmor-Arbeitsplatte direkt an die Wand, ist ja sonst zu wenig Platz für ne klassische Bar, hier links noch die Treppe, ganz hinten durch dann die Küche und die Nische mit den Gäste-Tischen.“
Nun, der Laden wirkt zwar klein, aber ob er wirklich in schon 2 Wochen betriebsbereit ist? Albert Adria ist über meinen ungläubigen Blick amüsiert.
Klar, wir haben in Deutschland oft das Vorurteil von Spanien, hier sei alles „Mañana“, also „heute nicht“, morgen sehen wir dann. Andererseits ist das Energiebündel Albert Adria auch nicht zu unterschätzen. Er behauptet von sich selbst ein absoluter Kontroll-Freak zu sein. Daher liegen die Lokale auch alle so nah beieinander, damit er schnell mal rüber flitzen kann. Das Pakta ist nur 5 Minuten zu Fuß vom Tickets, ins 1900 wird man herüber schauen können, und der Mexikaner?
„Der ist ein Traum, seit wir bestimmt bald 15 Mal bei Carmen „Titia“ Martinez in Mexiko, im „El Bajío“ (Dist. Federal) essen waren. Wir wollen der texanischen Verballhornung internationaler Franchise Betriebe mal die außerordentlichen Geschmackserlebnisse der echten, der traditionellen Küche Mexikos entgegensetzen. Dafür brauchen wir natürlich die richtigen Leute (ich bin ja kein Mexikaner!) und das entsprechende Lokal. Da hatten wir auch schon Anfang des Jahres ein interessantes gefunden: das „Carmelitas“. Aber immer wieder verschob sich das und es kam nicht aus den Startlöchern. Jetzt verhandeln wir gerade mit einem älteren Ehepaar über ein Geschäft neben dem „Teatre Romero“ hier im „Raval“ (also in der Nähe). Die verlangen noch zu viel, aber da bin ich ziemlich zuversichtlich. – Raval (Anm: das mittelalterliche Arbeiterviertel von BCN, Barrio Chino) als Ort für das Lokal liegt mir sehr am Herzen, hier sind die sozialen Gegensätze, aus denen spannende Ideen wachsen, hier pulsiert das kreative Leben Barcelonas für meine Einschätzung“ sagt Adria.
Welche Motive es auch immer sind, diesmal das erprobte Kreativ-Team von Architekten (Fizzz berichtete 06-11) diesmal außen vor zu lassen, auch ohne Gerüchte Küche ist ziemlich eindeutig, was zum „Aus“ für das „Carmelitas“ als Sitz des neuen Mexikaners á la Adria führte: Wie wir von den Architekten des Tickets und 41° von vor 2 Jahren wissen, ist es sehr schwierig mit den Adria Brüdern zusammenzuarbeiten. Damals sagte der deutschstämmige Architekt, Oliver Franz Schmidt: „ Es lohnt sich nicht, eine Zeichnung anzufertigen. Kaum hast du die Hälfte fertig, wirft Adria die Idee über den Haufen und will daraus wieder was ganz anderes gemacht wissen. >>Gibt‘s schon?- Dann will ich es nicht<<, ist Adria‘s Devise. Du musst sehr gut auf hohem Niveau improvisieren können, sonst verzweifelst du an der spontanen Kreativität Adria‘s.“ – Das „Carmelitas“ ist ein großes Restaurant hinter den berühmten Markthallen „Boquería“. Der Besitzer ist Galerist und seine junge Frau Innenarchitektin. Ist es möglich, dass hier wohl sehr unterschiedliche Ideen in der Umsetzung und der Mangel an Erfahrung oder Flexibilität der Architektin, die Idee der Zusammenarbeit scheitern liessen? Albert antwortet nur mit einem Lächeln.
„Das neue Lokal soll auf jeden Fall hier im Raval in der Nähe der Ramblas und des Theaters liegen, so ist es für den kombinierten Kulturgenuss genau richtig gelegen. Außerdem sind dort gute Anbindungen für Touristen“ gibt Albert noch preis.
„Eigentlich war das 41° als Cocktailbar in Zusammenarbeit mit den „Rias de Galicia“ Brüdern (bekanntes Meeresfrüchte Restaurant in BCN) gedacht. Inzwischen ist daraus der legitime Nachfolger des El Buli geworden, so viele Rezepte, wie wir allen dieses Jahr hier erarbeitet haben“, erklärt Adria, „bei uns ist immer alles im Fluss. Selbst die bestehenden Konzepte erfinden wir gleichsam wöchentlich neu. Die vielen jungen Talente, die mit uns gelernt oder gearbeitet haben, sollen sich dabei auch ein wenig mehr entfalten können. Hier haben wir z.B. Paco, (Paco gibt im Vorbeigehen lächelnd die Hand). Paco Méndez hat schon jahrelang im El Bulli gearbeitet und auch eine Kochschule geleitet, er ist gebürtiger Mexikaner wird unser Restaurant Yauarcan mit seiner Authentizität und dem gemeinsam erarbeiteten Wissen führen. Ángel (Geriz) und Pedro (Asensio), beide auch schon viele Jahre bei uns, werden die Vermutería (Café 1900) übernehmen. Die beiden arbeiten ja gerade schon an den Rezepten für drüben.“
Und das „Enigma“? frage ich.
„Das ist ja erst für Anfang 2014 geplant. Jetzt kümmern wir uns erst um das 1900 gegenüber und dann um den Mexikaner. Immerhin müssen die Verträge fürs Lokal erst mal unter Dach und Fach, damit wir im Oktober öffnen können. Dann kümmern wir uns um das „Enigma“.
Auch wenn jetzt der „kleine“ Bruder, Albert, sein Gesicht in die Kamera hält, es scheint mir doch eher ein Unruhestand zu sein statt, wie damals verkündet, ein Rückzug.
Der Grund für diese Unruhe?
Albert Adria„Ich bin ständig auf der Suche nach neuem Geschmack für den Gaumen. Und den finde ich zum Teil durch die Wiederentdeckung der beinahe vergessenenTraditionen“ , antwortet Adria.
„Ja, ich arbeite gut 14 Stunden am Tag, wandere dabei zwischen den Lokalen und die Zeit vergeht wie im Flug. Sonntags und montags haben wir deshalb auch geschlossen. Wir arbeiten alle gerne und hart, aber es muss auch Zeit sein, die ich mit Frau und Kindern verbringe. Von dem Kleinen will ich ja auch noch was haben. Ruhe und Inspiration brauche ich neben und für den Job ebenfalls. So etwas entsteht ja nicht im luftleeren Raum.“
Dann verabschiedet er sich lächelnd, um noch die Restaurantbesprechung mit zu gestalten. Es sind noch 15 Minuten bis zur Öffnung des „Tickets“, wo wir uns getroffen haben. Draußen stehen die Gäste trotz definitiver Reservierung sogar Schlange, damit sie auch ja nichts verpassen…