Kinderraub in Spanien – ein dunkles Erbe aus der Franco-Zeit

29.05.2017 - Ana Caballero 

Den Müttern wurde kurz nach der Geburt mitgeteilt, ihr Kind sei leider verstorben. In Wahrheit verkaufte man es an kinderlose Paare. Mehr als 300.000 Babys sollen während der Franco-Zeit in Spanien auf diese Weise ohne das Wissen ihrer Mütter in Adoption gegeben worden sein. Der organisierte Kinderraub war zunächst politisch und religiös motiviert und wurde dann zu einem lukrativen Geschäft, in das Ärzte, Krankenschwestern, Anwälte und insbesondere die katholische Kirche bis in die 1990er Jahre verwickelt waren.

 

Katholische Nonnen und Priester wollten verhindern, dass die Neugeborenen in Sünde aufwuchsen. Anstatt von ihren unverheirateten Müttern oder auch von kommunistischen und sozialistischen Familien, sollten sie von wohlhabenderen und gläubigen Paaren aufgezogen werden. Die Vermittlungsgebühr, die die ahnungslosen Adoptiveltern zahlen mussten, belief sich dabei auf etwa 100.000 Peseten, was damals dem Gegenwert eines Kleinwagens entsprach.

 

Zur Ausführung dieses zum einen ideologisch und zum anderen wirtschaftlich motivierten Vorhabens scheint es gängige Praxis gewesen zu sein, den Frauen so starke Narkosemittel zu geben, dass sie von der Geburt kaum etwas mitbekamen. Danach überbrachte man ihnen die fälschliche Nachricht, ihr Kind sei tot zur Welt gekommen oder kurz nach der Geburt überraschend gestorben. Wollten sie ihr Baby zur Vergewisserung noch einmal sehen, zeigte man ihnen ein fremdes, tiefgefrorenes Baby, das speziell für diese Zwecke aufbewahrt wurde.

 

Die Informationen, die man hierüber hat, sind spärlich und stammen größtenteils aus Zeugenaussagen. Erst vor einigen Jahren wurde publik, dass es sich um eine organisierte Form des Kinderraubs handelte. Etwa durch den Fall der Torres Romero. Ihre tot geglaubte Tochter Pilar erfuhr mit 15 Jahren, dass sie nicht von ihren leiblichen Eltern aufgezogen wurde. Mit der Hilfe ihres Stiefvaters, versuchte sie daraufhin mit allen Mitteln, ihre leibliche Mutter zu finden und schilderte ihren Fall unter anderem in einer spanischen Talkshow. Als 2011 andere Fälle von Babyraub in der Öffentlichkeit auftauchten, erinnerte sich ein Bekannter Torres Romeros' an den TV-Auftritt ihrer Tochter und die beiden fanden zueinander. Inzwischen wurden mehrere Opfergruppen gegründet und Internetportale sowie eine DNA-Datenbank eingerichtet, um die in vielen Fällen bis heute andauernde Suche nach der Tochter oder der Mutter zu unterstützen.

 

Neben der Perfidität dieser Machenschaften in den spanischen Krankenhäusern, die während der Franco-Diktatur begannen und bis in die demokratischen 1990er Jahre weitergeführt wurden, sticht außerdem ihre schleppende Aufarbeitung hervor. So wurde beispielsweise das Verfahren, das gegen die Ordensschwester Maria Gómez, der mindestens vier Fälle des Säuglingsraubs zugeschrieben werden, so auch der von Torres Romero, nie zu Ende gebracht. Verdächtig häufig sind Archivbestände der betroffenen katholischen Geburtskliniken Überschwemmungen oder Kellerbränden zum Opfer gefallen. Darüber hinaus wurden Dokumente häufig gefälscht.

 

Der spanische Richter Baltasar Garzón war der erste, der es 2008 wagte, die Verbrechen der Franco-Zeit zu untersuchen, doch bald drauf wurde er von drei ultrarechten Organisationen, darunter die faschistische Falange-Partei, wegen Rechtsbeugung angeklagt. Er habe sich mit seinen Ermittlungen über das Amnestiegesetz von 1977 hinweggesetzt und außerdem bei der Untersuchung einer Korruptionsaffäre, in die die konservative Regierungspartei verwickelt war, Rechte von Verdächtigen verletzt. Er wurde daraufhin 2012 seines Amtes enthoben und mit einem elfjährigen Berufsverbot belegt. Seitdem ruht zum Großteil die juristische Untersuchung von Verbrechen, die unter der Herrschaft Francos geschahen.

 

Der mangelnde politische Wille einer Aufarbeitung der Fälle des Kinderraubs und weiterer Verbrechen der Franco-Diktatur weist auf die Schwierigkeit einer Erinnerungskultur in Spanien hin. Das Weiterbestehen des politisch-ideologischen Lagers der damaligen Unterdrücker erschwert noch immer das Erinnern an die Geschehnisse und das Gedenken an die Opfer.

 

Dem Thema des Kinderraubs widmet sich ferner der kürzlich erschienene Dokumentarfilm Francos Erbe – Spaniens geraubte Kinder” der deutschen Regisseurin Inga Bremer. Darin begleitet sie ihre drei Protagonisten bei der Suche, beim Wiedertreffen und beim Kampf für Entschädigung und Gerechtigkeit.

 

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