REPORT: Wie im Flug vergeht die Zeit

07.08.2008 - www.faz.de 

Historische Bahnhöfe waren schon immer prächtige Bauwerke. So beeindruckt die Estación de Puerta de Atocha, einer der beiden Fernbahnhöfe Madrids, als ein gigantisches Raumwunder aus den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts, dessen rotbraunes Gusseisen und kleinteilige Glasfenster in der verschwenderischen Ornamentik des Jugendstils verzaubern. Weil diese verspielte Umgebung vielleicht zu plüschigen Coupés und fauchenden Dampfrössern passte, aber nicht mehr zu den stromlinienförmigen Hochgeschwindigkeitszügen von heute, wachsen auf dem alten Perron jetzt riesige Palmen, die dem eiligen Reisenden zumindest die Augen weiden und ihn zur Muße einladen.

Vor dem Bahnsteig müssen die Fahrgäste ihre Koffer nach Sprengstoff durchleuchten lassen; Folge der schrecklichen Anschläge vom 11. März 2004.
Den Bahnsteig betreten darf nur, wer seine Fahrkarte gezeigt hat; vor dem Zug erwarten einen freundliche Menschen, die einen zum stets reservierten Sitzplatz geleiten. Keiner drängelt, keiner schubst - im AVE 3181 bekommt jeder seinen Platz. „Wir wollen den gleichen Komfort wie in einem Flugzeug“, sagt Jave Galve, Direktor für den Corridor Nord Oueste bei der staatlichen Bahngesellschaft Renfe. Offensichtlich wird dieses Angebot angenommen, wie die oft vollen Züge beweisen. Seit sie fahren, heißt es, würden auf dieser Verbindung 18 Prozent weniger Flugpassagiere transportiert. In Europa war sie lange die am meisten benützte Flugroute, jetzt ist Madrid-Barcelona hinter die Strecke Amsterdam-London zurückgefallen.

Für Tempo und Zuverlässigkeit sorgen die 26 Züge des Siemens-Typs Velaro, die morgens und abends stündlich und tagsüber zweistündlich auf der Strecke verkehren. Der Velaro mit seiner heruntergezogenen Nase sieht dem deutschen ICE 3 sehr ähnlich, die Renfe hat ihn zum Stückpreis von 25 Millionen Euro gekauft. Äußerlich unterscheidet er sich vom ICE 3 nur durch die farbigen Seitenstreifen: Sie sind nicht rot wie bei der Deutschen Bahn, sondern violett, die Farbe der Renfe. Der Triebzug mit acht Wagen (vier davon sind angetrieben) ist etwa um zehn Prozent stärker als der deutsche, und mit einer maximalen Energieaufnahme von 8,8 Megawatt kann er mit einer zugelassenen Höchstgeschwindigkeit von 350 km/h auch schneller fahren; er hätte durchaus die Kraft für mehr als 400 km/h, verkündet Jürgen Model, der Verantwortliche von Hersteller Siemens für die Iberische Halbinsel, nicht ohne Stolz.

„Er liegt gut auf der Straße“

Bei allen Rekorden verschweigt er nicht, dass er in Spanien derzeit nur mit maximal 300 km/h unterwegs sein kann, weil die Strecke noch nicht die dafür erforderliche ETCS-Zulassung Level 2 (European Train Control System) hat; sie werde aber in der nächsten Zeit erteilt, hofft Model. Jedenfalls ist der für 350 km/h nötige Stromabnehmer bereits installiert. Tests mit gut 400 km/h habe man kürzlich auf dieser Strecke absolviert, doch werde der staatliche Besitzer des Schienenstrangs das höchstmögliche Tempo nicht zulassen, weil dadurch die Trasse einem höheren Verschleiß ausgesetzt sei. Der spanische Lokführer - der mittlerweile Triebzugführer heißt - lobt den Zug auf seiner Strecke durch karstiges Land: „Er liegt gut auf der Straße.“


Passagiere werden in drei Klassen eingeteilt

Der augenfällig größte Unterschied zum deutschen ICE 3 wird im Inneren deutlich. Der Velaro E wirkt leicht und hell, die Wände sind mit lichtem Birkenholz getäfelt und mit Aluleisten abgesetzt, die Sitze einheitlich dunkelblau. Siemens hat eine leistungsfähige Kaltdampf-Klimaanlage eingebaut, weil sich sommers ein Waggon leicht bis zu 50 Grad Celsius aufheizen kann - vor allem, wenn der Zug einmal unbenutzt eine Stunde in der prallen Sonne steht. Nach dem Einschalten der Kühlaggregate muss der Innenraum binnen 40 Minuten auf Zimmertemperatur abgekühlt sein.

Renfe gewährt zwar allen Passagieren dasselbe angenehme Raumklima, teilt sie aber wie bei Langstreckenflügen in drei Klassen ein: Club heißt die erste, hier gibt es Ledersitze, und zwar nur 38 im Großraumwagen. An den Bahnhöfen haben Club-Fahrgäste Zutritt zu einer gut ausgestatteten Lounge, die mit Ambiente und Ausstattung den Vergleich mit Warteräumen für Lufthansa-Senatoren nicht zu scheuen braucht. Im Zug wird er mit einem opulenten viergängigen Menü nebst Weinen, Wasser und Digestif verwöhnt. Dafür kostet die Rückfahrkarte 358,08 Euro. Wer die zweite Klasse „Preferente“ (50 Fahrgäste) bucht, muss zwar auf Stoffsitzen Platz nehmen, hat aber fast so viel Raum wie im Club. Das Essen fällt etwas magerer aus, der Preis auch: 298,40 Euro. Wer sparen will, setzt sich in die Turista genannte dritte Klasse mit bis zu 72 Sitzen im Waggon. Dort sind zwar keine Holzbänke eingebaut, aber es stehen vier Sitze in einer Reihe; ein Imbiss und Getränke werden gereicht. Der Preis: 198,90 Euro. Internet-Frühbucher können Rabatte bis 60 Prozent erhalten.

Der Zug läuft in Barcelona-Sants ein. Ein im Gegensatz zum Madrider Atocha eher schnörkelloses Verkehrsbauwerk, das nun gar nicht zum Verweilen einlädt. Das muss es auch nicht, denn man ist am Ziel: nach zwei Stunden, 35 Minuten. Zwei Minuten vor der Zeit. „Schade“, sagt ein Paar beim Verlassen des Zugs, denn sie haben sich an die Fernsehwerbung der Renfe erinnert: Dort betritt ein Schaffner ein vollbesetztes Abteil und sagt: „Ich muss Ihnen eine schlechte Nachricht überbringen: Der Zug hat jetzt bereits zehn Minuten Verspätung.“ Die Fahrgäste jubeln, denn damit dürften sie ihr nicht geringes Fahrgeld zurückerhalten und sind einmal umsonst gefahren.

Kommentare (0) :

Artikel kommentieren
Artikel-Archiv
  • 07.03.2024 [Kommentare: 0]

    Spanien auf dem Weg zu sichereren und umweltfreundlicheren Straßen: Neue Regeln im Überblick

    Das Jahr 2024 bringt für Autofahrer in Spanien eine Vielzahl von Neuerungen im Straßenverkehr mit sich. Von der Einführung digitaler Dokumente bis hin zu Maßnahmen zur Förderung der Elektromobilität - die Veränderungen haben das Ziel, die Sicherheit zu erhöhen, die Umweltbelastung zu verringern und den Umgang mit Verkehrsangelegenheiten .. Artikel weiterlesen

  • 06.02.2023 [Kommentare: 2]

    Führerschein in Spanien

    Als EU-Bürger kann man in Spanien, genauso wie in anderen EU-Ländern, den Führerschein machen. Um sich für eine Führerscheinprüfung anzumelden, gelten bestimmte Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen: • Mindestalter: 18 Jahre • Gültiger Personalausweis oder Reisepass • Nachweis über die Aufenthaltserlaubnis (NIE) in Spanien (mind. 6.. Artikel weiterlesen

  • 20.05.2022 [Kommentare: 0]

    Das neue Verkehrs- und Verkehrssicherheitsgesetz im Überblick

    Seit Ende April dieses Jahres hat sich einiges auf den Straßen Spaniens geändert – das neue Verkehrs- und Verkehrssicherheitsgesetz tritt mit schärferen Regeln und höheren Strafen in Kraft. Die vergebene Punktzahl bei Widrigkeiten schnellen in die Höhe, wie z.B. wenn man vom Mobiltelefon am Steuer Gebrauch macht oder es auch nur in der .. Artikel weiterlesen

  • 15.01.2018 [Kommentare: 0]

    Ummeldung eines Autos „zwischen“ Deutschland und Spanien

    Laut Zahlen von 2012 lassen jedes Jahr Bürger und Unternehmen in der EU etwa 3,5 Millionen Fahrzeuge in einem anderen Mitgliedstaat zu. Im Jahr 2012 begann ein Projekt, mit dem die EU-Kommission die Regeln zur Kfz-Zulassung in allen EU-Mitgliedsstaaten vereinheitlichen und vereinfachen wollte. Die EU-Kommission bezifferte das.. Artikel weiterlesen

  • 03.07.2017 [Kommentare: 0]

    Barcelona mit dem Smartphone entdecken: nützliche Apps für Alltag und Freizeit – Teil 1: Transport

    Längst nutzen wir das Handy für weit mehr als nur zum Telefonieren und Nachrichten schreiben. Beinahe täglich werden neue Programme und Funktionen für unsere intelligenten Smartphones entwickelt. Einige davon können für das Leben oder den Besuch in einer Großstadt wie Barcelona sehr nützlich sein. So sind sie etwa bei der Fahrt mit den.. Artikel weiterlesen

  • 22.05.2017 [Kommentare: 1]

    Die Zulassung von Blablacar in Spanien

    Weswegen wurde Blablacar in Spanien zugelassen? Spanische Busunternehmen forderten die Schließung von Blablacar, weil weder die Verantwortlichen der Plattform noch deren Nutzer die Vorschriften des Straßenverkehrsgesetzes (normativa de transporte terrestre) einhalten. Gemäß dieser Vorschriften bedarf es einer behördlichen Genehmigung, um.. Artikel weiterlesen

  • 13.01.2017 [Kommentare: 0]

    Madrid gewinnt europäischen Preis für innovative Mobilitätslösungen

    Der europäische Innovationspreis „Thinking Cities“, einer Auszeichnung für neuartige Maßnahmen zur Verbesserungen der urbanen Mobilität, ging kürzlich an die Stadt Madrid. Mit dem Preis, verliehen von der gleichnamigen Zeitschrift für Verkehrsprojekte sowie dem europäischen Städtenetzwerk Polis (European Cities and Regions Networking.. Artikel weiterlesen

  • 03.01.2017 [Kommentare: 0]

    Uber lanciert die Einführung von Elektroautos der Marke Tesla

    Haben Sie schon einmal von “Uber” gehört? Allen, die sich im Online-Dienstleistungsbereich auskennen, ist es sicher ein Begriff. Für alle anderen: Uber ist ein amerikanisches Dienstleistungsunternehmen mit Sitz in San Francisco, das 2009 gegründet wurde. Es bietet in vielen Städten der Welt Online-Vermittlungsdienste zur.. Artikel weiterlesen

  • 07.12.2016 [Kommentare: 0]

    Barcelona: Neues Verkehrskonzept durch Superblocks

    Tagtäglich schieben sich Blechlawinen durch die Straßen Barcelonas und quälen die katalanische Hauptstadt mit enormer Luftverschmutzung und Autolärm.Als eine der am stärksten von Pendlerstaus betroffenen Städte Spaniens, hat die Stadt nun ein neues, ambitioniertes Verkehrskonzept erarbeitet, das den Verkehr in der Touristenmetropole b.. Artikel weiterlesen

  • 09.11.2016 [Kommentare: 0]

    Wie gut ist der öffentliche Nahverkehr? Grossstädte im Vergleich

    Jede Minute zählt, wenn man morgens versucht, den nächsten Bus oder Zug zu erwischen. Daher ist Moovit, erst vor knapp einem Jahr an den Start gegangen, genau das richtige Tool, um zu wissen, ob man noch Zeit hat für einen kurzen Kaffee auf dem Weg oder nicht. Denn weltweit ist Moovit die führende ÖPNV-App mit den umfangreichsten Daten.. Artikel weiterlesen