SERIE: Die Stadt der verschwundenen Kinder

21.02.2011 - Adriana Leidenberger 

Es ist Gaias erste Entbindung ohne die Hilfe ihrer Mutter. Sie ist erst sechzehn Jahre alt und doch macht sie sich als Hebamme schon sehr gut. Ihre Mutter hat sie bestens vorbereitet und sie weiß genau, was zu tun ist. Mit brauner Tinte tätowiert sie dem Baby die vier kleinen Muttermale auf den Knöchel, wie ihre Mutter es sie gelehrt hat. Sie kennt auch das Gesetz, das von jeder Hebamme verlangt, die ersten drei Neugebornen eines Monats am Tor der Enklave abzugeben.

Und so geht sie mit dem Kind davon und lässt eine verzweifelte Mutter zurück. Doch Gaia weiß, dass es den „vorgebrachten“ Kindern in der Enklave gut gehen wird, und so stellt sie das Gesetz nicht in Frage. Doch ihre kleine Welt wird auf den Kopf gestellt, als sie noch am selben Abend nach Hause zurückkehrt und erfahren muss, dass die Enklave ihre Eltern verhaften ließ. Warum, kann sich Gaia beim besten Willen nicht vorstellen. Doch Meg, eine alte Freundin ihrer Mutter, erzählt ihr, dass der Grund darin liege, dass Gaias Mutter die abgegebenen Kinder zu ihren leiblichen Eltern zurückverfolgen könne und dass die Enklave Antworten haben wolle. Bevor sie die Stadt verlässt, gibt sie dem Mädchen ein kleines Päckchen mit einem Schal, in den merkwürdige Muster gewoben sind.

Als ihre Eltern nicht mehr auftauchen, entschliesst sich Gaia in die Enklave einzudringen um nach ihnen zu suchen. Zum Glück stellt sich heraus, dass die scheinbar undurchdringliche Mauer trotz aller Vorsichtsmaßnahmen doch Schlupflöcher hat und so gelangt sie in das Innere der Stadt. Im Gegensatz zu den Menschen, die außerhalb der Mauern in mittelalterlicher Einfachheit leben, mit rationierter Kleidung, Nahrung und Unterhaltung, leben die Menschen des inneren Kreises in Wohlstand.

Und doch ist auch dort nicht alles perfekt, denn die leiblichen Kinder der Einwohner der Enklave leiden vermehrt an genetischen Defekten. Wie es nicht anders kommen kann, landet Gaia dort im Gefängnis. Doch weil Captain Grey, nebenbei der verstossene und umstrittene Sohn des Protektors, oberster Herrscher der Stadt, Interesse an ihr findet, geht es ihr vergleichsweise gut und sie bekommt die Chance zu kooperieren. Doch was sie gesehen und erlebt hat, hat Gaias Sicht zutiefst erschüttert. Daher versucht sie mit ihren Erkenntnissen über den Schal ihrer Mutter und den tätowierten Muttermalen zu fliehen, statt der Enklave zu dienen.

Das Buch hat in den USA und Großbritannien zurecht großes Aufsehen erregt, denn es ist spannend, abwechslungsreich und mit einer fesselnden Natürlichkeit geschrieben. Das Besondere an der Atmosphäre liegt im Spannungsverhältnis zwischen einem eher mittelalterlich anmutenden, rationierten Leben außerhalb der Enklave und dem futuristisch geprägten Leben mit seiner künstlich hergestellten Nahrung, der genetischen Geburtenkontrolle und technologischen Überwachung ausgehend von der Enklave.

Diese Rahmenbedingungen spielen jedoch nur so weit eine Rolle, wie sie die Entwicklung der Handlung tragen und begründen. Im Mittelpunkt stehen die Menschen, mit ihrem Leben und ihren Sehnsüchten. Daher ist das Buch auch für Leser geeignet, die sonst keine Science Fiction Romane lesen.
Da es rund um das Thema Entbindung zu etwas blutigen Szenen kommt, ist das Buch für ältere Jugendliche ab etwa 16 Jahren zu empfehlen.

Insgesamt ist das Buch hervorragend geschrieben und äußerst spannend. Das offene Ende lässt auf eine Fortsetzung hoffen.

Caragh O´Brien, Die Stadt der verschwundenen Kinder, Heyne, 2011, ISBN 978-3-453-52800-0

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