SERIE: Thomas Brussigs "La Avenida del sol"

04.05.2009 - Tanja Nause 

„Zoni, mach mal winke, winke,
wir wolln dich knipsen!“

Sie erinnern sich? Eröffnet wurde diese HINTERGRUND-Reihe am 13. März mit dem Roman „Das Parfum“ von Patrick Süskind, der kürzlich, am 26. März, seinen sechzigsten Geburtstag feierte. Wir gratulieren dem großen Unbekannten!

Ein Schriftsteller, der die Bekanntheit seiner Werke ganz anders anpackt, ist der 1965 in Ostberlin geborene Thomas Brussig. Sein Name gilt, spätestens seit dem Erfolg des Romans „Helden wie wir“ (1995, verfilmt 1999), als Markenzeichen für „junge“ und „wilde“ Literatur „aus dem Osten“. Auf diesen Bestseller folgte 1999 der Roman „Am kürzeren Ende der Sonnenallee“, der zeitgleich als Film („Sonnenallee“) in der Regie von Leander Haußmann herauskam und sehr erfolgreich im Kino lief.

Die einzige spanische Übersetzung eines Werks von Thomas Brussig setzt – vielleicht auch wegen dieses Films – genau hier an: „La Avenida del Sol“, übertragen von Rosa Pilar Blanco, erschien 2001 im Madrider Verlag Ediciones Siruela. Nun ist „Am kürzeren Ende der Sonnenallee“ zwar sicher das bislang lustigste und leichteste, aber nicht unbedingt das literarisch anspruchsvollste Werk von Thomas Brussig. Hier wäre noch übersetzerischer Nachholbedarf, wenn mir diese Bemerkung gestattet ist.

„La Avenida del Sol“ erzählt von Kindheit und Jugend in den siebziger Jahren hinter der Berliner Mauer – im wahrsten Sinne des Worts. Michael Kuppisch nämlich lebt im Baumschulenweg am „kürzeren Ende der Sonnenallee“, dem traurigen Ostberliner Appendix einer Einkaufsstraße, und damit wohnt er direkt an den Grenzanlagen. Die Kulisse ist eindrucksvoll. Trotzdem ist das Ereignis der Sonnenallee nicht etwa die Mauer, sondern die schöne Miriam. Denn den Jugendlichen geht es natürlich in erster Linie um die Liebe und deren Widrigkeiten (Miriam verspricht Micha einen Kuss – wird er ihn je bekommen?) und in zweiter Linie um westliche Rockmusik und wie man sie sich beschaffen kann (das lebensrettende Doppelalbum „Exile on Main Street“, beispielsweise).

Wie schon in Brussigs Debütroman „Wasserfarben“ (1991) stehen auch in „La Avenida del Sol“ jugendliche Rebellen im Vordergrund – aufmüpfige und widerspenstige junge Leute, für die es das Schlimmste wäre, je als „angepasst“ zu gelten. Sie widersetzen sich der DDR-Doktrin, wo sie nur können, und sie spielen – das muss man wirklich sagen – höchst amüsante Streiche. Wer Lust darauf hat, dem sei dieser Roman ans Herz gelegt. Er hat vier herrliche Vorzüge: Er ist kurz, er ist einfach geschrieben, er ist unterhaltsam – und dies alles, ohne die DDR zu verniedlichen oder zu verklären. Das trifft natürlich auch auf die spanische Übersetzung zu. „La Avenida del Sol“ eignet sich daher, ebenso wie schon „El Perfume“, ganz hervorragend zum Spanischlernen.

Den beiden Paukenschlägen „Helden wie wir“ und „Am kürzeren Ende der Sonnenallee“ folgte 2004 dann der umfangreiche, sehr viel leisere Roman „Wie es leuchtet“. Leider ist dieser sowohl vom deutschen Feuilleton als auch von den Lesern relativ gleichgültig aufgenommen worden. Das ist sehr schade, denn die Stimmung in den Jahren 1989/90 ist durch die Charaktere in diesem Roman wahnsinnig gut eingefangen, namentlich durch Werner Schniedel, dessen Geschichte sicher zum Besten gehört, was über die Wende überhaupt geschrieben worden ist. Ich jedenfalls kann „Wie es leuchtet“ nur empfehlen, und falls ein Verleger oder Lektor mitlesen sollte: lassen Sie es bitte ins Spanische übersetzen. Sie tun der Literaturgeschichte hier ganz sicher einen Gefallen!

Den Fußballfans unter uns seien schließlich auf gar keinen Fall die beiden Bücher zum Thema Nummer Eins unterschlagen: „Leben bis Männer“ (2001) und „Schiedsrichter Fertig – Eine Litanei“ (2007) sind Abrechnungen mit König Fußball, zum einen aus der Sicht eines Provinztrainers, zum anderen aus der eines Schiedsrichters. Auch diese beiden Bände warten noch auf ihre spanische Ausgabe in diesem Land, „in dem wichtige Sitzungen vertagt werden, wenn sie mit dem Spielplan der Champions League kollidieren“ („Gebrauchsanweisung für Spanien“, Paul Ingendaay). Denn ganz besonders die Spanier wissen ja: „Kein Schiedsrichter kann durch seine Leistungen unsterblich werden. Ein Schiedsrichter kann nur durch seine Fehlleistungen unsterblich werden“ („Schiedsrichter Fertig“). Wenn das kein schönes Schlusswort ist.

Nützliche Links
http://www.madridfuerdeutsche.com/index.php?seccion=adressverzeichnis&accion=submenu&categoryid=23&subcategoryid=33&actual=1
www.sonnenallee.de

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